Leben Zitate (Seite 157)
Keiner kann in leichtem Spiel
Dieses Lebens Preis erjagen;
Fest ins Auge faß das Ziel,
Bis die Pulse höher schlagen
Und sich dir an Fuß und Hand
Wieder straff die Sehne spannt.
Und so wandre Schritt für Schritt
Den Gefahren kühn entgegen:
Hoch das Haupt und fest der Tritt
Und im Herzen Gottes Segen,
Auf der Stirn des Kampfes Schweiß:
So gewinnest du den Preis.
Julius Karl Reinhold Sturm
Der Liebe Wundermacht
Liebe kann nur dich erheben
Aus dem Staub, der dich umwallt;
Liebe nur verleiht dem Leben
Heilig göttliche Gestalt.
Frei ist nur, wen sie bezwungen,
Glücklich nur, wen sie beglückt,
Mächtig nur, wen sie durchdrungen,
Und nur schön, wen sie geschmückt.
Julius Karl Reinhold Sturm
Gruß an die Nacht
Wie hast du mich so müde gemacht,
o Tag mit deiner leuchtenden Pracht,
mit deiner Farben buntem Schein,
mit deinen rauschenden Melodein.
Willkommen, o Nacht! und decke du
die Erde mit deinem Schleier zu,
laß schwinden die Farben, die Töne verwehn,
laß alles Leben um dich vergehn,
und lasse mich träumen allein mit dir,
vom leuchtenden Himmel hoch über mir.
Julius Karl Reinhold Sturm
Aus der Kinderstube
Ich habe mein Kind gestraft,
Nun kommt es nach kurzem Besinnen,
Fällt schluchzend mir um den Hals,
Und seine Thränen rinnen.
Und wie es Bess'rung gelobt,
Küß ich dem kosenden Wichte
Mit freundlich lächelndem Mund
Die Thränen vom Angesichte.
So hab' ich's von Gott gelernt,
So hab' ich's erfahren im Leben:
Ich fehlte und wurde bestraft,
Ich bat – und mir wurde vergeben.
Julius Karl Reinhold Sturm
Mysterium
Wie aus einer Wunde heraus
des düsteren Abendhimmels
bricht das Blut
der sterbenden Sonne –
ein Bild der Schönheit
im lodernden Untergang.
Erinnerung an Leben
und Farbe
und Kraft …
oder die Ahnung
von Jenseits?
Wo ist
das Göttliche daheim?
Mit Urgewalt
zieht uns ein Sehnen hin
in die Unendlichkeit.
Ingrid Streicher
Das heiße Eisen
Auch meine Ahnen
waren Schmiede,
drum bin ich
auf der Eisenstraße
ganz daheim,
sie hämmerten
und glühten,
schufen Hufe,
sie lachten
voller Fleiß und Freud
ins Feuer
und
schmiedeten
die Räder,
bis sie rund.
Wenn mir das Leben heut
zu hart erscheint,
denk ich der Ahnen,
blas heftig in die Glut
und pack das Eisen an,
auch wenn es heiß.
Ingrid Streicher
Und wieder geht ein Jahr
Das Jahr ist müde,
geht nun schlafen.
Verbraucht und kraftlos,
still der Tag;
ein wenig traurig
auch die Stunden,
die man ganz leicht schon
zählen mag ...
Gedanken kreisen
um Sinn und Schöpfung,
um Tod und Leben,
schwankend, zag;
bis endlich dann
um Mitternacht
der tiefen Glocke
letzter Schlag:
Jäh alles,
was im Dunkel war,
erstrahlt in Freude, Zuversicht –
das neue Jahr
ist angebrochen!
Es liegt
verheißungsvoll
im Licht.
Ingrid Streicher
Goldherbst
Goldherbst,
so lange du es bist,
der Blätter färbt,
sei mir willkommen!
Streu bunte Zettel
auf die Welt
mit deiner Botschaft,
streich zärtlich über Wälder hin,
laß mich mit dir
zur Schönheit fliehn,
zum großen Farbengarten!
Noch gibt es Leben
auf den Feldern,
noch wärmt die Sonne
mein Gesicht.
Noch will ich wandern,
horchen, staunen;
nur sterben – nein,
will ich noch nicht.
Ingrid Streicher
Geliebte Stille
Alleine
durch den Tannwald gehn
und nur des Windes Rauschen
in den Wipfeln hörn,
den eignen Schritt
im Schnee;
am Morgen
nach den Blumen sehn
im taubenetzten Garten,
eh noch die Sonne steigt;
im Herbst
über die Felder wandern,
den Kragen hoch gestellt,
und Aug in Aug
dem Reh …
Geliebte Stille.
Wie vermiss ich dich,
wenn ich durchs Leben geh.
Ingrid Streicher
Rechte Liebe
Es wogt das reiche Leben,
Ein wellenreicher Strom,
Mit tausendfachem Streben
Rings um den ernsten Dom.
Indes in seinem Frieden
Nur ein Gefühl sich regt,
Das, was von der Welt geschieden,
Doch alles in ihr trägt.
Das, in der Welt verstummend,
In allen Herzen tönt;
Das, sich der Welt verhüllend,
Allein die Welt verschönt.
So steht die rechte Liebe,
Die von der Welt nicht trennt,
Und, mitten im Gedränge,
Doch hoch und einsam brennt.
Victor von Strauß und Torney
Beginn des Endes
Ein Punkt nur ist es, kaum ein Schmerz,
Nur ein Gefühl, empfunden eben;
Und dennoch spricht es stets darein,
Und dennoch stört es dich zu leben.
Wenn du es andern klagen willst,
so kannst du's nicht in Worte fassen.
Du sagst dir selber: »Es ist nichts!«
Und dennoch will es dich nicht lassen.
So seltsam fremd wird dir die Welt,
Und leis verläßt dich alles Hoffen,
Bis du es endlich, endlich weißt,
Daß dich des Todes Pfeil getroffen.
Theodor Storm