Lange Zitate (Seite 6)
Wie lange noch, Herr?
Willst du in Ewigkeit mich vergessen?
Wie lange noch
verbirgst du dein Antlitz vor mir?
Wie lange soll ich sorgen in meiner Seele,
mich ängstigen in meinem Herzen täglich?
Wie lange soll mein Feind Gewalt haben über mich?
Ja, darauf vertraue ich, daß du gnädig bist,
mein Herz jauchzt über deine Hilfe!
Singen will ich dem Herrn,
der mir so große Wohltat erwiesen hat.
Bibel
Noch lange stand ich wortlos, wie gebannt,
wie lauschend jener andern fernen Welt –
ihr woget zauberhaft rings um mich her
wie meiner Sehnsucht unermeßlich Meer.
Ich muß dich fassen mit der Sehnsucht Macht,
wenn ich mein Selbst aus dir will wiederfinden –
es ist durch dich ein Ton in mir erwacht,
auf den ich lange, lange, lang geharrt.
Luise Baer
Kurz ist der Mai
Herzblatt am Lindenbaum,
Du grüner Maientraum,
Es sang die Nachtigall
Ihren süßen Schall;
Sang Liebe, sang Leide,
Sang Freud und sang Leid,
Lang ist das Leben,
Aber kurz die Maienzeit.
Schöne Zeit ist längst vorbei
Welk ist der grüne Mai,
Nachtigall singt nicht mehr,
Der Lindenbaum steht leer;
Aus Liebe ward Leide,
Aus Liebe ward Leid,
Lang ist das Leben,
Aber kurz die Maienzeit.
Will in den Garten gehn,
Wo die letzten Rosen stehn,
Aber o weh, o weh,
Da liegt der...
Hermann Löns
Solche Bücher läßt du drucken!
Teurer Freund, du bist verloren!
Willst du Geld und Ehre haben,
Mußt du dich gehörig ducken.
Nimmer hätt ich dir geraten
So zu sprechen vor dem Volke,
So zu sprechen vor den Pfaffen
Und vor hohen Potentaten!
Teurer Freund, du bist verloren!
Fürsten haben lange Arme,
Pfaffen haben lange Zungen,
Und das Volk hat lange Ohren!
Heinrich Heine
Wie lange noch?
Die Sonne verglüht, es verrinnen die Stunden,
Da brechen sie auf, die brennenden Wunden:
Stumme Sehnsucht im pochenden Herzen
Weckt und entfacht die zehrenden Schmerzen.
Seh' ich den Himmel und seine Sterne,
Fühl' ich dich nahe trotz aller Ferne.
Der wogenden Nachtluft würzigen Brodem
Schlürf´ ich, als sei's dein süßer Odem.
Alles verklärt mir ein glänzender Schimmer,
Dich nur erschau' ich, überall, immer:
Die heiße Sehnsucht wird mich verzehren:
Wie lange noch, ach! wie lange...
Therese Dahn
An jedem Abend geh' ich aus
Hinauf den Wiesensteg.
Sie schaut aus ihrem Gartenhaus,
Es stehet hart am Weg.
Wir haben uns noch nie bestellt,
Es ist nur so der Lauf der Welt.
Ich weiß nicht, wie es so geschah,
Seit lange küß' ich sie,
Ich bitte nicht, sie sagt nicht: ja!
Doch sagt sie: nein! auch nie.
Wenn Lippe gern auf Lippe ruht,
Wir hindern's nicht, uns dünkt es gut.
Das Lüftchen mit der Rose spielt,
Es fragt nicht: hast mich lieb?
Das Röschen sich am Taue kühlt,
Es sagt nicht lange:...
Ludwig Uhland
Die Amsel lockt, die Hasel stäubt,
Im Erdengrund es heimlich treibt,
Nicht lang, der gelbe Krokus blüht,
Nicht lang, und bald die Rose glüht;
Bald wogt in heißer Luft das Korn,
Im Neste zirpt's, im Heckendorn;
Es rauscht und braust das Waldesgrün,
Von Berg und Tal die Schatten fliehn;
Und hingestreckt auf blumiger Au
Senk ich den Blick ins Himmelsblau,
Und frei von Schwere wir die Brust,
Wie ist die Welt voll Lieb und Lust!
Wird's balde sein? – Noch ist so grau
Der Himmel und die Luft so rauh...
Wilhelm August Theodor Steinhausen
Nachklang
Lang' schwebt ein Duft noch um die Stelle,
Wo einst ein Wohlgeruch geruht –
Lang woget noch des Meeres Welle
Wenn sich gelegt des Windes Wut.
Noch fühl ich um die Lippen schweben
Den Hauch von deiner Küsse Glut!
Noch will sich nicht zufrieden geben –
Was du so wild bewegt – mein Blut!
Heinrich Seidel