Ich Sein Zitate (Seite 64)
Für Julia
Ich wünsche dir Gelassenheit,
und Hoffnung, Mut, Beständigkeit.
Ich wünsch dir Kraft
auch schwach zu sein,
sieh Fehler nach und Fehler ein.
Ich wünsch dir Freunde für dein Leben
und Größe, Feinden zu vergeben.
Ich wünsch dir Träume für den Tag,
und dass ein Stern dir leuchten mag.
Ich wünsch dir Zeit zu allein Zeiten,
lass dich nicht hetzen, lass dich leiten
von deinem Herz, der inneren Uhr,
und gehe nach Verstand nicht nur.
Ich wünsche Glück dir immerzu,
mir wünsche ich, mein Kind,...
Ruth W. Lingenfelser
Frage
Ich frage Dich: Sag' mir das Rätsel des Lebens,
Sag' mir des Seins und der Sehnsucht Sinn!
Ist alles Sehnen und Streben vergebens?
Kannst Du mir künden: "Woher?" und "Wohin?"
Ich klopfte an allen Toren der Erde.
Bis zu den Sternen stieg ich empor.
Am Leib erlebt' ich das "Stirb und Werde".
Die Seele sang mit den Engeln im Chor.
Ich hab' mit Dämonen um mich gestritten
Und mit dem Dämon in eigener Brust.
Ich hab' mich gemüht, ich habe gelitten,
Wie's keinem, auch keinem ward bewußt.
Da...
Karl Ernst Knodt
Vor Gericht
Von wem ich es habe, das sag ich euch nicht,
Das Kind in meinem Leib. _
Pfui! speit ihr aus: die Hure da! _
Bin doch ein ehrlich Weib.
Mit wem ich mich traute, das sag ich euch nicht.
Mein Schatz ist lieb und gut,
Trägt er eine goldene Kett am Hals,
Trägt er einen strohernen Hut.
Soll Spott und Hohn getragen sein,
Trag ich allein den Hohn.
Ich kenn ihn wohl, er kennt mich wohl,
Und Gott weiß auch davon.
Herr Pfarrer und Herr Amtmann ihr,
ich bitt, lasst mich in Ruh!
Es ist mein...
Johann Wolfgang von Goethe
Sieben Tadel
Ich tadelte meine Seele siebenmal.
Das erste Mal, als sie versuchte, mich
auf Kosten der Schwachen zu erhöhen.
Das zweite Mal, als ich vor Verkrüppelten
zu hinken vorgab.
Das dritte Mal, als ich, vor die Wahl gestellt,
das Leichte dem Schweren vorzog.
Das vierte Mal, als ich einen Fehler beging
und mich mit den Fehlern der anderen tröstete.
Das fünfte Mal, als ich, aus Furcht gefügig geworden,
behauptete, groß in der Geduld zu sein.
Das sechste Mal, als ich meine Kleider...
Khalil Gibran
Unsicherheit
Ich möchte dir was Liebes sagen,
und bin ironisch
oder total sachlich.
...Ich bin unsicher.
Ich möchte dich ganz fest umarmen,
und berühre dich
nur flüchtig.
...Ich bin unsicher.
Ich vermittle das Gefühl,
eine Wolke zu sein,
und läßt du dich fallen,
prallst du auf Stein.
Ich wär so gern die Wolke, aber
...ich bin unsicher.
Kristiane Allert-Wybranietz
Oh Gott, so frage ich dich,
auch wenn ich weiß, ganz innerlich,
Dich gab es wohl nie, und wird es nie geben.
Mit dieser Erkenntnis ist es schwer zu leben.
Und dennoch frag' ich, denn ich weiß ja nicht.
Welch Gott bist du? Ein blinder vielleicht?
Wenn ich doch nur könnte sehen in dein Gesicht.
Siehst du denn nicht, all dieses Leid?
Wie kann es sein, so frag' ich erneut,
dass die halbe Menschheit geprägt ist von Leid,
während sich die andere über zu viel Nahrung freut.
Und auf der anderen Seite...
Nargis Ahadi
Wie die Liebe alles verändert und umstürzt! Das »Ich« ist ein Hirngespinst. Ich fühle bestimmt, daß ich nicht »Ich« bin. Ich bin »Sie«, und um das zu sein, brauche ich gar nichts an mir aufzugeben. Ihre Interessen, Ihre Neigungen, Ihr Glück, Ihre Freuden – das ist das »Ich«, lieber Freund, das mir lieb und wert und vertraut ist. Alles übrige ist mir etwas Fremdes.
Julie de Lespinasse
Es gibt keine "unglückliche" Liebe, kann keine geben; "unglückliche Liebe" ist ein Widerspruch in sich selbst. Denn entweder ich liebe wirklich – dann muß ich mich bereichert fühlen, unabhängig davon, ob ich Gegenliebe finde oder nicht; oder aber ich liebe nicht eigentlich, ich "meine" eigentlich nicht die Person eines anderen Menschen, sondern sehe an ihr vorbei nur etwas Körperliches "an" ihm oder etwa einen (seelischen) Charakterzug, den er "hat", – dann allerdings mag ich unglücklich...
Viktor Frankl
Denn wir wissen nur einen Teil, und einen Teil prophezeien wir. Doch wenn das perfekte Himmelreich kommt, werden die Teile eins. Als ich Kind war, sprach ich wie ein Kind und verstand wie ein Kind. Als ich zum Mann wurde, ließ ich die kindischen Dinge hinter mir. Jetzt sehen wir uns noch durch ein dunkles Glas. Doch bald von Angesicht zu Angesicht: jetzt weiß ich nicht alles, doch dann werde ich alles wissen, so wie ich allen bekannt sein werde.
Bibel
Aus der Kinderstube
Ich habe mein Kind gestraft,
Nun kommt es nach kurzem Besinnen,
Fällt schluchzend mir um den Hals,
Und seine Thränen rinnen.
Und wie es Bess'rung gelobt,
Küß ich dem kosenden Wichte
Mit freundlich lächelndem Mund
Die Thränen vom Angesichte.
So hab' ich's von Gott gelernt,
So hab' ich's erfahren im Leben:
Ich fehlte und wurde bestraft,
Ich bat – und mir wurde vergeben.
Julius Karl Reinhold Sturm
Zuhause
Ein ruhiger Ort
für sich zu sein
gelebte Träume
in Zweisamkeit
Zwei wärmende Hände
die Nähe geben
eng umschlungen
vertrautes Leben
Den klaren Gedanken
durch den Traum vertrieben
den anderen
wie keinen anderen lieben
Gefühle tragen mich
im Bett durchwacht
ein kleines Licht
wird tausendfach
Bei Tag und Nacht
denk ich an Dich
bin ich weit weg
dann sehn' ich mich
Träum ich Gefühle
so vor mich hin,
dann weiß ich,
wo ich Zuhause bin.
Ladore de Schygall
Volkslied
Wenn ich zwei Vöglein wär,
Und auch vier Flügel hätt,
Flög die eine Hälfte zu dir.
Und die andere, die ging auch zu Bett,
Aber hier zu Haus bei mir.
Wenn ich einen Flügel hätt
Und gar kein Vöglein wär,
Verkaufte ich ihn dir
Und kaufte mir dafür ein Klavier.
Wenn ich kein Flügel wär
(Linker Flügel beim Militär)
Und auch keinen Vogel hätt,
Flög ich zu dir.
Da 's aber nicht kann sein,
Bleib ich im eignen Bett
Allein zu zwein.
Joachim Ringelnatz
Wenn die Uhren so nah
wie eigene Herzen schlagen,
und die Dinge mit zagen
Stimmen sich fragen:
Bist du da? – :
Dann bin ich nicht der, der am Morgen erwacht,
einen Namen schenkt mir die Nacht,
den keiner, den ich am Tage sprach,
ohne tiefes Fürchten erführe –
Jede Türe
in mir gibt nach...
Und da weiß ich, daß nicht vergeht,
keine Geste und kein Gebet
(dazu sind die Dinge zu schwer) –
meine ganze Kindheit steht
immer im mich her.
Niemals bin ich allein.
Viele, die vor mir lebten
und fort von...
Rainer Maria Rilke
Der Letzte
Ich habe kein Vaterhaus,
und habe auch keines verloren;
meine Mutter hat mich in die Welt hinaus
geboren.
Da steh ich nun in der Welt und geh
in die Welt immer tiefer hinein,
und habe mein Glück und habe mein Weh
und habe jedes allein.
Und bin doch manch eines Erbe.
Mit drei Zweigen hat mein Geschlecht geblüht
auf sieben Schlössern im Wald,
und wurde seines Wappens müd
und war schon viel zu alt; –
und was sie mir ließen und was ich erwerbe
zum alten Besitze, ist heimatlos.
In...
Rainer Maria Rilke