Heute Leben Zitate (Seite 6)
An meinen Lehrer
Ich war nicht einer deiner guten Jungen.
An meinem Jugendtrotz ist mancher Rat
Und manches wohlgedachte Wort zersprungen.
Nun sieht der Mann, was einst der Knabe tat.
Doch hast du, alter Meister, nicht vergebens
An meinem Bau geformt und dich gemüht.
Du hast die besten Werte meines Lebens
Mit heißen Worten mir ins Herz geglüht.
Verzeih, wenn ich das Alte nicht bereue.
Ich will mich heut wie einst vor dir nicht bücken.
Doch möcht ich dir für deine Lehrertreue
nur einmal...
Joachim Ringelnatz
Liebe
Aus der Ferne kam ich wieder her,
Und so dunkel sind die alten Gassen,
Und die Häuserschatten sind so schwer,
Und der Marktplatz ist so still und leer –
Und die Eine finde ich nicht mehr,
Die ich nicht vergessen kann, noch lassen.
Und die Brunnen rauschen wunderlich
Und erzählen sich viel selt'ne Dinge,
Und am dunkeln Tore flüchten sich
Aufgescheucht zwei Abendschmetterlinge.
An dem kleinen Fenster war es licht,
Vor du jenem deine Hand gegeben –
Heut' erhellt sich mir das Fenster...
Anton Renk
So ein Tag
Heut ist mal wieder so ein Tag,
an dem ich mich pardauz nicht mag,
hab mich im Spiegel betrachtet,
mein Antlitz spöttisch verachtet.
Dort vor mir, dieses fahle Gesicht,
ist es meins? Ich glaube es nicht!
Wangen und Stirn voller Falten,
der Anblick – kaum auszuhalten.
Ich steh' still und klage spontan:
Zeit, was hast du mir angetan,
warum ist die Haut nicht mehr glatt,
weshalb ist sie spröde und matt?
Hab ich irgendwas falsch gemacht,
übers Alter nie nachgedacht,
an ewige Jugend...
Horst Rehmann
Der Mensch von heute
(zum Glück nicht alle)
Offene Ohren, weiches Herz,
selten wie im Wald die Trüffel,
häufiger sind Leid und Schmerz
und Gebrülle wie bei Büffel.
Kein Mensch hört einem Andern zu,
geht lieber stur den eig'nen Weg,
auch Mitleid ist schon längst tabu,
gehört nicht mehr zum Privileg.
Eiskalte Schulter, Herz aus Stein,
so geht der Mensch durch's Leben,
Gefühle zeigt er nur zum Schein,
will nur nehmen, doch nicht geben.
Erst wenn er liegt im Sterbebett,
erntet er das, was er...
Horst Rehmann
Weinende Seele
Es ist still, ich hör nur den Wind,
seh am Himmel ein Wolkenmeer,
und am Weg ein weinendes Kind,
das rennt einem Ball hinterher.
Erinnerung stürzt auf mich ein,
und erweckt die Vergangenheit,
in der ich so hilflos allein,
erlebte viel Kummer und Leid.
Was geschah ist lange schon her,
hat meinen Kindheitstraum zerstört,
doch das Geschehene wiegt schwer,
weil mein Flehen niemand gehört.
Nichts von dem hab ich je erzählt,
es blutet noch heute mein Herz,
weil diese Erinnerung...
Horst Rehmann
Es reicht
Heute ist mir plötzlich klar,
ich ändere mein Leben,
bin nun sechsundsechzig Jahr,
hab immer nur gegeben.
Jubel, Trubel, Heiterkeit,
ging stets zu meinen Lasten,
jetzt wird´s allerhöchste Zeit,
zu ruhen und zu rasten.
Bin doch nicht der Araber,
mit dem Namen He Na Gib,
hab satt das Rumgelaber,
nebst der Worte, hab dich lieb.
Ab sofort ist damit Schluss,
mir schmerzt langsam die Galle,
doch zu meinem Überdruss,
vermiss ich jetzt schon Alle.
Horst Rehmann
Sanft geküßt
Sanft werd' ich heute geweckt,
von Sonnenstrahlen geküßt,
die Luft ist zart wie Konfekt,
ein blaues Himmelszelt grüßt.
Freudig streck' ich die Glieder,
fühle mich rundum gesund,
Amseln trillern schon Lieder,
im lichtdurchfluteten Bunt.
Schmetterlinge im Garten,
tanzen wie Federn im Wind,
die ersten Bienen starten,
zeigen wie fleißig sie sind.
Dieser Morgen ist traumhaft,
von Naturpracht umgeben,
in meinen Adern der Saft,
gibt mir Ansporn zum Leben.
Horst Rehmann
Nichts bleibt ewig
Nichts bleibt ewig und von Dauer,
alles wird irgendwann vergehn,
täglich liegt die Zeit auf Lauer,
obwohl wir sie nicht optisch sehn.
Beispiel sind die kleinen Sachen,
in unserem kurzen Leben,
heute können wir noch lachen,
morgen wird's uns nicht mehr geben.
Das schönste Rot wird finstres Schwarz,
Streit dauert keine Ewigkeit,
verblühen wird selbst Rosenquarz,
es dauert, doch es kommt die Zeit.
Auf ewig gibt es auch kein Licht,
es schwindet sogar Traurigkeit,
doch eines...
Horst Rehmann
Das Stoppelfeld
Ein kahles Feld vor meinem Fenster liegt.
Jüngst haben dort sich schwere Weizenähren
im Sommerwinde hin und her gewiegt;
vom Ausfall heute sich die Spatzen nähren.
Welch trübes Bild! Doch leiht ihm Sonnenschein
ein Kinderpaar, das auf den Stoppeln schreitet,
die letzte Lese sorgsam sammelt ein
und jeden Fund mit frohem Ruf begleitet.
Schon faßt den Ährenstrauß ihr Tüchlein kaum.
Am Bahndamm beide rastend niederhocken;
der Knabe schießt im Grase Purzelbaum,
das Mägdlein windet...
Theobald Nöthig
Es war einmal ein Papagei,
der war beim Schöpfungsakt dabei
und lernte gleich am rechten Ort
des ersten Menschen erstes Wort.
Des Menschen erstes Wort war A
und hieß fast alles, was er sah,
z.B. Fisch, z.B. Brod,
z.B. Leben oder Tod.
Erst nach Jahrhunderten voll Schnee
erfand der Mensch zum A das B
und dann das L und dann das Q
und schließlich noch das Z dazu.
Gedachter Papagei indem
ward älter als Methusalem
bewahrend treu in Brust und Schnabel
die erste menschliche Vokabel.
Zum Schlusse...
Christian Morgenstern
Was unabwendbar auch im raschen Flug der Zeiten
Das wechselnde Verhängnis jedem bringt,
Ob heit're Tage sich, ob trübe sich verbreiten,
Des Lebens Wohlfahrt steiget oder sinkt –
Ein Glaube ist's, nach dem der Weise handelt,
Und eine Hoffnung, der sein Herz sich weiht:
Vertrau' auf den, der in Gewittern wandelt
Und mild im Sonnenstrahl erfreut!
Er winkt! Sein Sturm erwacht, und seine Blitze fliegen,
Der Donner rollt, es bebt der Hochgebirge Schoß,
Die Eiche stürzt, doch die Orkane wiegen
Der...
Siegfried August Mahlmann
Der Morgen
O sieh den Morgen lächelnd sich entschleiern,
O sieh den Turm, wie er von Strahlen glüht.
Horch! Wie dem Ruhm die Freude, zieht
Des jungen Tages ersten Feuern
Entgegen schon der Wälder erstes Lied.
Ja, lächle nur bei all dem Schönen.
Dieselbe Sonne leuchtet deinen Tränen,
Wenn morgen mich der dunkle Sarg verschlingt.
Ob meinem Grabe von denselben Tönen
Erschallt der Wald, davon er heute klingt?
Dann aber wird die Seele selig schweben
Im Grenzenlosen über Raum und Zeit.
Im Morgenrot...
Victor Marie Hugo
Und wer franzet oder britet,
Italienert oder teutschet,
Einer will nur wie der andre,
Was die Eigenliebe heischet.
Denn es ist kein Anerkennen,
Weder vieler noch des einen,
Wenn es nicht am Tage fördert,
Wo man selbst was möchte scheinen.
Morgen habe denn das Rechte
Seine Freunde wohlgesinnet,
Wenn nur heute noch das Schlechte
Vollen Platz und Gunst gewinnet.
...
Johann Wolfgang von Goethe