Gott Zitate (Seite 145)
Liebesglück
Wenn Dichter sonst in warmen Phantasien,
Von Liebesglück und schmerzlichem Vergnügen,
Sich oder uns, nach ihrer Art, belügen,
So sei dies Spielwerk ihnen gern verziehen.
Mir aber hat ein güt'ger Gott verliehen,
Den Himmel, den sie träumen, zu durchfliegen,
Ich sah die Anmut mir im Arm sich schmiegen,
Der Unschuld Blick von süßem Feuer glühen.
Auch ich trug einst der Liebe Müh' und Lasten,
Verschmähte nicht, den herben Kelch zu trinken,
Damit ich seine Lust nun ganz...
Eduard Mörike
Zum Neujahr
Mit einem Taschenkalender
An tausend Wünsche, federleicht,
Wird sich kein Gott noch Engel kehren,
Ja, wenn es so viel Flüche wären,
Dem Teufel wären sie zu seicht.
Doch wenn ein Freund in Lieb und Treu
Dem andern den Kalender segnet,
So steht ein guter Geist dabei.
Du denkst an mich, was Liebes dir begegnet,
Ob dir's auch ohne das beschieden sei.
Eduard Mörike
Mitmenschen
Das sind die mitleidlosen Steine,
die Tag und Nacht dein Ich zerreiben;
willst du dein ganzer Eigner bleiben,
so flieh die liebende Gemeine.
Und bricht einmal dein volles Herz
und spricht von einer Überwindung: –
»Oh!« ruft des Nächsten kleiner Schmerz,
»bei Gott, ich kenne die Empfindung!«
Daß er so wenig weiß und kann,
das ist es, was den Edlen schmerzt,
indes der eitle Dutzendmann
zu jedem Urteil sich beherzt.
Christian Morgenstern
Allen Bruder sein!
Allen helfen, dienen!
Ist, seit Er erschienen,
Ziel allein!
Auch dem Bösewicht,
Der uns widerstrebet!
Er auch ward gewebet
Einst aus Licht.
"Liebt das Böse – gut!"
Lehren tiefe Seelen.
Lernt am Hassen stählen –
Liebesmut!
Brüder – hört das Wort!
Daß es Wahrheit werde –
Und dereinst die Erde
Gottes Ort!
Christian Morgenstern
Historische Bildung
oder
Die verfolgte Weltgeschichte
Es sitzt ein Fräulein auf dem Altan
und liest eine Nachricht aus Ispahan.
Sie liest von einer Rebellion, -
bewegt, so hebt und senkt sich ihr Ton.
Darauf liest sie eine aus Engelland;
die andere Dame horcht gespannt.
Darauf liest die andere Dame vor.
Die erste lauscht jetzt, völlig Ohr.
So lesen Tante sich und Nichte
abwechselnd vor die Weltgeschichte.
Und husten dazu mit strengem Blick,
und äußern Beifall und Kritik.
Und legen dann das...
Christian Morgenstern
Das Weihnachtsbäumlein
Es war einmal ein Tännelein
mit braunen Kuchenherzlein
und Glitzergold und Äpflein fein
und vielen bunten Kerzlein:
Das war am Weihnachtsfest so grün
als fing es eben an zu blühn.
Doch nach nicht gar zu langer Zeit,
da stands im Garten unten,
und seine ganze Herrlichkeit
war, ach, dahingeschwunden,
die grünen Nadeln war'n verdorrt,
die Herzlein und die Kerzlein fort.
Bis eines Tags der Gärtner kam,
den fror zu Haus im Dunkeln,
und es in seinen Ofen nahm -
Hei!...
Christian Morgenstern
Die Zirbelkiefer
Die Zirbelkiefer sieht sich an
auf ihre Zirbeldrüse hin;
sie las in einem Buche jüngst,
die Seele säße dort darin.
Sie säße dort wie ein Insekt
voll wundersamer Lieblichkeit,
von Gottes Allmacht ausgeheckt
und außerordentlich gescheit.
Die Zirbelkiefer sieht sich an
auf ihre Zirbeldrüse hin;
sie weiß nicht, wo sie sitzen tut,
allein ihr wird ganz fromm zu Sinn.
Christian Morgenstern
Der Großstadtbahnhoftauber pickt,
was Gott sein Herr ihm fernher schickt.
Aus Salzburg einen Zehntel Kipfel,
aus Frankfurt einen Würstchen-Zipfel.
Aus Bozen einen Apfelbutzen
und ein Stück Käs aus den Abruzzen.
So nimmt er teil, so steht er gleich
wer immer wem im Deutschen Reich
und außerhalb und überhaupt,
soweit man an dergleichen glaubt.
Christian Morgenstern