Augen Zitate (Seite 14)
Aufschrei
Blühend sein und doch nicht leben sollen,
Mit der Sehnsucht noch, der heißen, tollen,
Vor der fest verschlossnen Türe stehn –
Durstig sein, und doch nicht trinken, trinken,
Wenn die goldnen Freudenbecher winken,
Jeder Wonne scheu vorübergehn –
Lechzen, ach, nach seligem Genießen,
Und die trunknen Augen doch zu schließen,
Weil des Schicksals harter Spruch es will –
Darben, darben, wenn sich Andre küssen,
Elend sein, und dennoch lachen müssen,
Immer lachen ….
Still, mein Herz, o still!
Anna Ritter
Giraffen im Zoo
Wenn sich die Giraffen recken,
Hochlaub sucht die spitze Zunge,
Das ihnen so schmeckt, wie junge
Frühkartoffeln mit Butter mir schmecken.
Hohe Hälse. Ihre Flecken
Sehen aus wie schön gerostet.
Ihre langsame und weiche
Rührend warme Schnauze kostet
Von dem Heu, das ich nun reiche.
Lauscht ihr Ohr nach allen Seiten,
sucht nach wild vertrauten Tönen.
Da sie von uns weiter schreiten,
Träumt in ihren stillen, schönen
Augen etwas, was erschüttert,
Hoheit. So, als ob sie wüßten,
Daß...
Joachim Ringelnatz
Die neuen Fernen
In der Stratosphäre,
Links vom Eingang, führt ein Gang
(Wenn er nicht verschüttet wäre)
Sieben Kilometer lang
Bis ins Ungefähre.
Dort erkennt man weit und breit
Nichts. Denn dort herrscht Dunkelheit.
Wenn man da die Augen schließt
Und sich langsam selbst erschießt,
Dann erinnert man sich gern
An den deutschen Abendstern.
Joachim Ringelnatz
Schlummerlied
Will du auf Töpfchen?
Fühlst du ein Dürstchen?
Oder ein Würstchen?
Senke dein Köpfchen.
Draußen die schwarze, kalte
Nacht ist böse und fremd.
Deine Hände falte.
Der liebe Gott küßt dein Hemd.
Gute Ruh!
Ich bin da,
Deine Mutter, Mama;
Müde wie du.
Nichts mehr sagen -
Nicht fragen -
Nichts wissen -
Augen zu.
Horch in dein Kissen:
Es atmet wie du.
Joachim Ringelnatz
Arm Kräutchen
Ein Sauerampfer auf dem Damm
stand zwischen Bahngeleisen,
machte vor jedem D-Zug stramm,
sah viele Menschen reisen.
Und stand verstaubt und schluckte Qualm,
schwindsüchtig und verloren,
ein armes Kraut, ein schwacher Halm,
mit Augen, Herz und Ohren.
Sah Züge schwinden, Züge nahn.
Der arme Sauerampfer
sah Eisenbahn um Eisenbahn,
sah niemals einen Dampfer.
Joachim Ringelnatz
Jetzt reifen schon die roten Berberitzen
Jetzt reifen schon die roten Berberitzen,
alternde Astern atmen schwach im Beet.
Wer jetzt nicht reich ist, da der Sommer geht,
wird immer warten und sich nie besitzen.
Wer jetzt nicht seine Augen schließen kann,
gewiß, daß eine Fülle von Gesichten
in ihm nur wartet, bis die Nacht begann,
um sich in seinem Dunkel aufzurichten: –
der ist vergangen wie ein alter Mann.
Dem kommt nichts mehr, dem stößt kein Tag mehr zu,
und alles lügt ihn an, was ihm...
Rainer Maria Rilke
Nächtens will ich mit dem Engel reden,
ob er meine Augen anerkennt.
Wenn er plötzlich fragt: Schaust du Eden?
Und ich müßte sagen: Eden brennt.
Meinen Mund will ich zu ihm erheben,
hart wie einer, welcher nicht begehrt.
Und der Engel spräche: Ahnst du Leben?
Und ich müßte sagen: Leben zehrt.
Wenn er jene Freude in mir fände,
die in seinem Geiste ewig wird, –
und er hübe sie in seine Hände,
und ich müßte sagen: Freude irrt.
Rainer Maria Rilke
Irrlichter
Wir haben einen alten Verkehr
mit den Lichtern am Moor.
Sie kommen mir wie Großtanten vor ...
Ich entdecke mehr und mehr
zwischen ihnen und mir den Familienzug,
den keine Gewalt unterdrückt:
diesen Schwung, diesen Sprung, diesen Ruck, diesen Bug,
der den andern nicht glückt.
Auch ich bin dort, wo die Wege nicht gehn,
im Schwaden, den mancher mied,
und ich habe mich oft verlöschen sehn,
unter dem Augenlied.
Rainer Maria Rilke
Ich bin nur einer deiner Ganzgeringen,
der in das Leben aus der Zelle sieht
und der, den Menschen ferner als den Dingen,
nicht wagt zu wägen, was geschieht.
Doch willst du mich vor deinem Angesicht,
aus dem sich dunkel deine Augen heben,
dann halte es für meine Hoffahrt nicht,
wenn ich dir sage: Keiner lebt sein Leben.
Zufälle sind die Menschen, Stimmen, Stücke,
Alltage, Ängste, viele kleine Glücke,
verkleidet schon als Kinder, eingemummt,
als Masken mündig, als Gesicht – verstummt.
Rainer Maria Rilke
Der Leser
Wer kennt ihn, diesen, welcher sein Gesicht
wegsenkte aus dem Sein zu einem zweiten,
das nur das schnelle Wenden voller Seiten
manchmal gewaltsam unterbricht?
Selbst seine Mutter wäre nicht gewiß,
ob er es ist, der da mit seinem Schatten
Getränktes liest. Und wir, die Stunden hatten,
was wissen wir, wieviel ihm hinschwand, bis
er mühsam aufsah: alles auf sich hebend,
was unten in dem Buche sich verhielt,
mit Augen, welche statt zu nehmen, gebend
anstießen an die fertig-volle...
Rainer Maria Rilke
Die Irren
Und sie schweigen, weil die Scheidewände
weggenommen sind aus ihrem Sinn,
und die Stunden, da man sie verstände,
heben an und gehen hin.
Nächtens oft, wenn sie ans Fenster treten:
plötzlich ist alles gut.
Ihre Hände liegen im Konkreten,
und das Herz ist hoch und könnte beten,
und die Augen schauen ausgeruht
auf den unverhofften, oftenstellten
Garten im beruhigten Geviert,
der im Widerschein der fremden Welten
weiterwächst und niemals sich verliert.
Rainer Maria Rilke
Zum Einschlafen zu sagen
Ich möchte jemanden einsingen,
bei jemandem sitzen und sein.
Ich möchte dich wiegen und kleinsingen
und begleiten schlafaus und schlafein.
Ich möchte der Einzige sein im Haus,
der wüßte: die Nacht war kalt.
Und ich möchte horchen herein und hinaus
in dich, in die Welt, in den Wald.
Die Uhren rufen sich schlagend an,
und man sieht der Zeit auf den Grund.
Und unten geht noch ein fremder Mann
und stört einen fremden Hund.
Dahinter wird Stille. Ich habe groß
die Augen auf...
Rainer Maria Rilke
Der Tod der Geliebten
Er wußte nur vom Tod, was alle wissen:
daß er uns nimmt und in das Stumme stößt.
Als aber sie, nicht von ihm fortgerissen,
nein, leis aus seinen Augen ausgelöst,
hinüberglitt zu unbekannten Schatten,
und als er fühlte, daß sie drüben nun
wie einen Mond ihr Mädchenlächeln hatten
und ihre Weise wohlzutun:
Da wurde ihm die Toten so bekannt,
als wäre er durch sie mit einem jeden
ganz nah verwandt; er ließ die andern reden
und glaube nicht und nannte jenes Land
das...
Rainer Maria Rilke
er wollte nie
er wollte sich nie
in die herzen graben
ein flacher, klarer abdruck
war ihm tief genug
er wollte sich nie
in die herzen wühlen
in seinen augen
off'ner selbstbetrug
er wollte nie, daß
and're mit ihm fühlen
um die gefahr zu wissen
war er klug genug
nie konnte er
ein fremdes herz
zum feinde haben
sein eig'nes leben war es
das ihm kerben schlug
Wolfgang J. Reus