Joachim Ringelnatz Zitate über zeit
7. August, 1883 – 17. November, 1934
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Ich habe dich so lieb
Ich habe dich so lieb!
Ich würde dir ohne Bedenken
Eine Kachel aus meinem Ofen
schenken.
Ich habe dir nichts getan.
Nun ist mir traurig zumut.
An den Hängen der Eisenbahn
Leuchtet der Ginster so gut.
Vorbei - verjährt -
Doch nimmer vergessen.
Ich reise.
Alles, was lange währt,
Ist leise.
Die Zeit entstellt
Alle Lebewesen.
Ein Hund bellt.
Er kann nicht lesen.
Er kann nicht schreiben.
Wir können nicht bleiben.
Ich lache.
Die Löcher sind die Hauptsache
An einem Sieb.
Ich...
Joachim Ringelnatz
Meine erste Liebe?
Erste Liebe? Ach, ein Wüstling, dessen
Herz so wahllos ist wie meins, so weit,
Hat die erste Liebe längst vergessen,
Und ihn interessiert nur seine Zeit.
Meine letzte Liebe zu beschreiben,
Wäre just so leicht wie indiskret.
Außerdem? Wird sie die letzte bleiben,
Bis ihr Name in der »Woche« steht.
Meine Abenteuer in der Minne
Müssen sehr gedrängt gewesen sein.
Wenn ich auf das erste mich besinne,
Fällt mir immer noch ein früh'res ein.
Joachim Ringelnatz
Vergehe Zeit!
(1932)
Vergehe Zeit und mache einer besseren Platz!
Wir haben doch nun genug verloren.
Setz einen Punkt hinter den grausamen Satz:
"Ihr habt mich heraufbeschworen.
Was wir, die Alten, noch immer nicht abgebüßt,
Willst du es nicht zum Wohle der Jugend erlassen?
Kaum kennen wirs noch, daß fremde Hände sich fassen
Und Fremdwer zu Ungleich sagt: "Sei herzlich gegrüßt."
Laß deine Warnung zurück und geh schnell vorbei,
Daß wir aufrecht stehen.
Vergönne uns allen, zuinnerst frei,
Das...
Joachim Ringelnatz
Silvester
Daß bald das neue Jahr beginnt,
Spür ich nicht im Geringsten.
Ich merke nur: Die Zeit verrinnt
Genau so wie zu Pfingsten,
Genau wie jährlich tausendmal.
Doch Volk will Griff und Daten.
Ich höre Rührung, Suff, Skandal,
Ich speise Hasenbraten.
Mit Cumberland, und vis-à-vis
Sitzt von den Krankenschwestern
Die sinnlichste. Ich kenne sie
Gut, wenn auch erst seit gestern.
Champagner drängt, lügt und spricht wahr.
Prosit, barmherzige Schwester!
Auf! In mein Bett! Und Prost Neujahr!
Rasch!...
Joachim Ringelnatz
Überall ist Wunderland.
Überall ist Leben.
Bei meiner Tante im Strumpfband
Wie irgendwo daneben.
Überall ist Dunkelheit.
Kinder werden Väter.
Fünf Minuten später
Stirbt sich was für einige Zeit.
Überall ist Ewigkeit.
Wenn du einen Schneck behauchst,
Schrumpft er ins Gehäuse.
Wenn du ihn in Kognak tauchst,
Sieht er weiße Mäuse.
Joachim Ringelnatz
Die Brüder
Der Weekend traf den Weekbeginn:
»Guten Morgen!«
»Guten Abend!«
Sie mochten sich anfangs nicht leiden,
Und immer hatte von beiden
Der eine ein unrasiertes Kinn.
Trotz dieser trennenden Kleinigkeit
Lernten sie doch dann sich leiden
Und gingen klug und bescheiden
Abwechselnd durch die Zeit.
Und gaben einander Kraft und Mut
Und schließlich waren die beiden
Nicht mehr zu unterscheiden.
Und so ist das gut.
Joachim Ringelnatz
Wäsche
Wäsche ist von des Menschen Umäußerung
Das Innerste, also das Feinste,
Und soll immer das Reinste
Sein, wie im Menschen selber die Seele.
Was immer ihr fehle,
Die Sauberkeit fehle ihr nie.
Und schön und schöner, wenn außerdem sie
Noch Wohlgeschmack, einen freien Geist
Und das Verständnis für neueste Zeit
Und für die Gesetze der Ewigkeit
Beweist. –
Wie doch die innersten Blättchen der Blüten
Die innigsten sind. –
Wäsche sollst du wie dein Gewissen
Und wie dein Kind
Peinlich pflegen und...
Joachim Ringelnatz
So ist es uns ergangen
So ist es uns ergangen.
Vergiß es nicht in beßrer Zeit!
Aber Vöglein singen und sangen,
Und dein Herz sei endlos weit.
Vergiß es nicht! Nur damit du lernst
Zu dem seltsamen Rätsel "Geschick". –
Warum wird, je weiter du dich entfernst,
Desto größer der Blick?
Der Tod geht stolz spazieren.
Doch Sterben ist nur Zeitverlust. –
Dir hängt ein Herz in deiner Brust,
Das darfst du nie verlieren.
Joachim Ringelnatz
Mißmut
Ein Rauch verwehrt.
Ein Wasser verrinnt.
Eine Zeit vergeht.
Eine neue beginnt.
Warum? Wozu?
Denk' ich dein Fleisch hinweg, so bist
Du ein dünntrauriges Knochengerüst,
Allerschönstes Mädchen du.
Wer hat das Fragen aufgebracht?
Unsere Not.
Wer niemals fragt, wäre tot.
Doch kommt's drauf an, wie jemand lacht.
Bist du aus schlimmem Traum erwacht,
Ist eine Postanweisung da,
Ein Telegramm, ein guter Brief, -
Du atmest tief
Wie eine Ziehharmonika.
Joachim Ringelnatz
Die Schnupftabaksdose
Es war eine Schnupftabaksdose,
Die hatte Friedrich der Große
Sich selbst geschnitzelt aus Nußbaumholz.
Und darauf war er natürlich stolz.
Da kam ein Holzwurm gekrochen.
Der hatte Nußbaum gerochen.
Die Dose erzählt ihm lang und breit
Von Friedrich dem Großen und seiner Zeit.
Sie nannte den alten Fritz generös.
Da aber wurde der Holzwurm nervös
Und sagte, indem er zu bohren begann:
»Was geht mit Friedrich der Große an!«
Joachim Ringelnatz