Joachim Ringelnatz Zitate über nur
7. August, 1883 – 17. November, 1934
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Doch ihre Sterne kannst du nicht verschieben
Das Sonderbare und Wunderbare
Ist nicht imstande, ein Kind zu verwirren.
Weil Kinder wie Fliegen durch ihre Jahre
Schwirren. – Nicht wissend, wo sie sind.
Nur vor den angeblichen wahren
Deutlichkeiten erschrickt ein Kind.
Das Kind muß lernen, muß bitter erfahren.
Weiß nicht, wozu das frommt.
Hört nur: Das muß so sein.
Und ein Schmerz nach dem andern kommt
In das schwebende Brüstchen hinein.
Bis das Brüstchen sich senkt
Und das Kind denkt.
Joachim Ringelnatz
Abgesehen von der Profitlüge
Die kurzen Beine der Lüge sind
Auch nur etwas Relatives.
Ein Segler kreuzend gegen Wind
Ist immer etwas Schiefes.
Ob sie aus Anstand, aus Mitleid gibt,
Sich hinter der Kunst will schützen,
Wenn sie nicht innerst sich selber liebt,
Wird Lüge niemandem nützen.
Es gibt eine Lüge politisch und kühn,
Und die ist auch noch zu rügen.
Ich meine: Wir sollten uns alle bemühn,
Möglichst wenig zu lügen.
Joachim Ringelnatz
Kammer-Kummer
Es äugt ein Wunsch aus mir nach der Uhr.
Der lauscht auf Briefträgerschritte
Und murmelt unaufhörlich nur
Die Worte "bitte, bitte".
Sich schämend richtet sein Gebet
Die Ohren nach der Klingel.
Ein Brief soll läuten. Darauf steht:
"An Herrn Joachim Ringel –"
Ha! Klingelt schon! Und kommt ein Brief. –
Nicht der, den ich wollte lesen.
Einschlafende Hoffnung atmet tief,
Träumt ab, was niemals gewesen.
Joachim Ringelnatz
Avant-Propos
Ich kann mein Buch doch nennen, wie ich will
Und orthographisch nach Belieben schreiben!
Wer mich nicht lesen mag, der laß es bleiben.
Ich darf den Sau, das Klops, das Krokodil
Und jeden andern Gegenstand bedichten,
Darf ich doch ungestört daheim
Auch mein Bedürfnis, wie mir's paßt, verrichten.
Was könnte mich zu Geist und reinem Reim,
Was zu Geschmack und zu Humor verpflichten? -
Bescheidenheit? – captatio – oho!"
Und wer mich haßt, – sie mögen mich nur hassen!
Ich darf mich...
Joachim Ringelnatz
Woher sie kam, wohin sie ging,
Das hab ich nie erfahren.
Sie war ein namenloses Ding
Von etwa sechzehn Jahren.
Sie küsste selten ungestüm,
Dann duftete es wie Parfüm
Aus ihren keuschen Haaren.
Wir spielten nur, wir scherzten nur:
Wir haben nie gesündigt,
Sie leistete mir jeden Schwur
Und floh dann ungekündigt.
Entfloh mit meiner goldnen Uhr.
Am selben Tag, da ich erfuhr,
Man habe mich entmündigt.
Verschwunden war mein Siegelring
Beim Spielen oder Scherzen.
Sie war ein zarter...
Joachim Ringelnatz
Kostümball-Gedanken
Es wechseln die Moden,
Aber der Hosenboden
sitzt sinngemäß
Immer unterm Gesäß.
Bunt stimmt viel froher
Als beispielsweise Grau.
Aber viel sowiesoer
reizt der Busen der Frau.
Das nächste Mal gedenke ich
Als ganz Nackter mitzumachen.
Und auch dies Kostüm verschenke ich.
Nur damit die Leute lachen.
Joachim Ringelnatz
Marter in Bielefeld
Es war in Bielefeld so bitter kalt.
Ich sah ein Weib, das nichts als eine knappe
Hemdhose trug. Daß ich erschauerte
Und ihren kalten Zustand heiß bedauerte.
Denn sie war nur Attrappe – Fleisch aus Pappe.
Ich wäre gar zu gern zu zweit gewesen.
Nun stand ich vor der reizenden Gestalt,
Mußte herabgesetzte Preise lesen,
Und ach, die Ladenscheibe war so kalt.
Der Frost entlockte meiner Nase Tränen.
Die Dame schwieg. Die Sonne hat gelacht.
In mir war qualvoll irgendwas...
Joachim Ringelnatz
Belauschte Frau
Doch ihr Gesicht,
Das sah ich nicht.
Nur Beine, Rock, gebeugten Rücken,
Ein nasses Stück vom Schürzenhang.
Das alles lebte sich beim Bücken
Und Wenden unterm Küchenlicht.
Ich aber stand im dunklen Gang,
Sah nach den unbewachten Beinen
Unter des hochgerutschten Rockes Saum.
Zwei sichre Arme dachte sich mein Traum.
Nur ihr Gesicht das sah ich nicht.
Doch etwas war, als wäre es zum Weinen.
Kein Laut, kein Wort. –
Es ist auch nichts Zunennendes gewesen.
Ich aber weiß: Als ich den...
Joachim Ringelnatz
Freiübungen
Wenn eine Frau in uns Begierden weckt
Und diese Frau hat schon ihr Herz vergeben,
Dann [Arme vorwärts streckt!]
Dann ist es ratsam, daß man sich versteckt.
Denn später [langsam auf den Fersen heben!]
Denn später wird uns ein Gefühl umschweben,
Das von Familiensinn und guten Eltern zeugt.
[Arme – beugt]
Denn was die Frau an einem Manne reizt,
[Hüften fest – Beine spreizt! – Grundstellung]
Ist Ehrbarkeit. Nur die hat wahren Wert,
Auch auf die Dauer [Ganze Abteilung, kehrt!]
Das ist...
Joachim Ringelnatz
Mißglücktes Liebesabenteuer
Das Herz sitzt über dem Popo. –
Das Hirn überragt beides.
Leider! Denn daraus entspringen so
Viele Quellen des Leides.
Doch ginge uns plötzlich das Hirn ins Gesäß
Und die Afterpracht in die Köpfe,
Wir wären noch minder als hohles Gefäß,
Nur gestürzte, unfertige Töpfe.
Herz, Arsch und Hirn. – Ich ziehe retour
Meine kleinliche Überlegung. –
Denn dieses ganze Gedicht kommt nur
Aus einer enttäuschten Erregung.
Joachim Ringelnatz
Zu dir
Sie sprangen aus rasender Eisenbahn
Und haben sich gar nicht weh getan.
Sie wanderten über Geleise,
Und wenn ein Zug sie überfuhr,
Dann knirschte nichts. Sie lachten nur.
Und weiter ging die Reise.
Sie schritten durch eine steinerne Wand,
Durch Stacheldrähte und Wüstenbrand,
Durch Grenzverbote und Schranken
Und durch ein vorgehaltnes Gewehr,
Durchzogen viele Meilen Meer. –
Meine Gedanken. –
Ihr Kurs ging durch, ging nie vorbei.
Und als sie dich erreichten,
Da zitterten sie und...
Joachim Ringelnatz