Joachim Ringelnatz Zitate über ich bin
7. August, 1883 – 17. November, 1934
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Schlummerlied
Will du auf Töpfchen?
Fühlst du ein Dürstchen?
Oder ein Würstchen?
Senke dein Köpfchen.
Draußen die schwarze, kalte
Nacht ist böse und fremd.
Deine Hände falte.
Der liebe Gott küßt dein Hemd.
Gute Ruh!
Ich bin da,
Deine Mutter, Mama;
Müde wie du.
Nichts mehr sagen -
Nicht fragen -
Nichts wissen -
Augen zu.
Horch in dein Kissen:
Es atmet wie du.
Joachim Ringelnatz
Morgenstund hat Gold im Mund
Ich bin so knallvergnügt erwacht.
Ich klatsche meine Hüften.
Das Wasser lockt. Die Seife lacht.
Es dürstet mich nach Lüften.
Ein schmuckes Laken macht einen Knicks
Und gratuliert mir zum Baden.
Zwei schwarze Schuhe in blankem Wichs
Betiteln mich ”Euer Gnaden.“
Aus meiner tiefsten Seele zieht
Mit Nasenflügelbeben
Ein ungeheurer Appetit
Nach Frühstück und nach Leben.
Joachim Ringelnatz
Nächtlicher Heimweg
Es wippt eine Lampe durch die Nacht.
Trapp klapp –
Ich will mir denken,
Daß meine Mutter jetzt noch wacht
Und will den Hut für sie schwenken.
Wir sind nicht, wie man seien soll,
Wir haben einander nur gern,
Doch meine Mutter ist alt und ist fern.
Und mir ist das Herz heut so voll.
Da kommt eine Frau mir engegen,
Ich will was Gutes überlegen,
Weil sie so arm und eckig aussieht.
Aber die Frau entflieht.
Ich bin ihr zu verwegen.
Nun wird es still und wunderbar.
Kein Laut auf...
Joachim Ringelnatz
Kindergebetchen
Lieber Gott, ich liege
Im Bett. Ich weiß ich wiege
Seit gestern fünfunddreißig Pfund.
Halte Pa und Ma gesund.
Ich bin ein armes Zwiebelchen,
Nimm mir das nicht übelchen.
Lieber Gott, recht gute Nacht.
Ich hab noch schnell Pipi gemacht,
Damit ich von dir träume.
Ich stelle mir den Himmel vor
Wie hinterm Brandenburger Tor
Die Lindenbäume.
Nimm meine Worte freundlich hin,
Weil ich schon sehr erwachsen bin.
Joachim Ringelnatz
Zwischen meinen Wänden
Ich danke dir: Ich bin ein Kind geblieben,
Ward äußerlich auch meine Schwarte rauh.
Zu viele Sachen weiß ich zu genau
Und lernte mehr und mehr die Wände lieben.
Doch zwischen Wänden, wenn die Fantasie
Ein kleines Glück so glücklich zu erfassen
Imstande ist, daß wir uns sagen: Nie
Uns selber lieben! Nie das andre hassen!
Nur einsam sein! – –
Spricht oft mein Innerstes zu solcher Weisheit: Nein!
Denn all mein Sinnen lauscht, ob fremde Hände
Jetzt etwa klopfen werden an...
Joachim Ringelnatz
Aus
Nun geh ich stumm an dem vorbei,
Wo wir einst glücklich waren,
Und träume vor mich hin: es sei
Alles wie vor zwei Jahren.
Und du bist schön, und du bist gut,
Und hast so hohe Beine.
Mir wird so loreley zumut,
Und ich bin doch nicht Heine.
Ich klappe meine Träume zu
Und suche mir eine Freude.
Auf daß ich nicht so falsch wie du
Mein Stückchen Herz vergeude.
Joachim Ringelnatz
Schiff 1931
Wir haben keinen günstigen Wind.
Indem wir die Richtung verlieren,
Wissen wir doch, wo wir sind.
Aber wir frieren.
Und die darüber erhaben sind,
Die sollten nicht allzuviel lachen.
Denn sie werden nicht lachen, wenn sie blind
Eines Morgens erwachen.
Das Schiff, auf dem ich heute bin,
Treibt jetzt in die uferlose,
In die offene See. – Fragt ihr: "Wohin?"
Ich bin nur ein Matrose.
Joachim Ringelnatz
Zwischen zweier Jahre Sarg und Windel
Wiederholt sich immer solch historischer Schwindel,
Der zumal Kalenderfabrikanten
Und viele alte antitot gesinnte Tanten
Hochbeglückt.
Und auch mich.
Prosit Neujahr, Brüder!
Ich bin heute lüder-
lich.
Ja, ich brülle und betrinke mich.
Mich schlägt keine Uhr.
Und ich wünsche jedem Menschen nur:
Daß von dem, was er mit losem Munde
Heute erfleht,
möglichst wenig in Erfüllung geht.
Weil die Welt mir doch zu jeder Stunde
So am richtigsten erscheint, wie sie...
Joachim Ringelnatz
Rückblick
Ich sehe hinter dem Grau heute Blau
Und bin milder geworden.
Ich bin nicht mehr der junge Radau
Und wehe nicht mehr aus Norden.
Es kommen die Jüngsten auch mal dahin,
Wenn sie streng Zauderndes wagen
Und fragen nach jedem »Wie ist ...?« dann: »Wie bin ...?«
Und werden still Danke sagen.
Joachim Ringelnatz
Ein Pflasterstein,
Der war einmal
Und wurde viel beschritten.
Er schrie: "Ich bin ein Mineral
Und muß mir ein für allemal
Dergleichen streng verbitten!"
Jedoch den Menschen fiel's nicht ein,
Mit ihm sich zu befassen,
Denn Pflasterstein bleibt Pflasterstein
Und muß sich treten lassen.
Joachim Ringelnatz
Heimatlose
Ich bin fast
Gestorben vor Schreck:
In dem Haus, wo ich zu Gast
War, im Versteck,
Bewegte sich,
Regte sich
Ploetzlich hinter einem Brett
In einem Kasten neben dem Klosett,
Ohne Beinchen,
Stumm, fremd und nett
Ein Meerschweinchen.
Sah mich bange an,
Sah mich lange an,
Sann wohl hin und sann her,
Wagte sich
Dann heran
Und fragte mich:
'Wo ist das Meer?'
Joachim Ringelnatz