Die Sängerin
Im Traume wars. Ein Pilgerschwarm
Von Männern und von Frauen zog
Durch meine Heimat Hand in Hand,
Lobsingend einen süßen Psalm.
Im letzten Gliede schreitend folgt
Ich selig der verwandten Schar.
Da schwang durch den harmonischen Chor,
Vom Haupt des Zuges, unsichtbar
sich eine Stimme jung und frisch
Und klar, weithin Gebirg und Tal
Vergoldend mit dem sonnigen Sang.
Allein die Stimme jauchzte falsch,
Im Tone hinkend und im Takt.
Und ob dem wundersamen Sang
So schön, so innig und so falsch,
Warf ich mich schluchzend auf den Weg,
Die Zähne klemmend in die Faust,
Die Stirn im heimatlichen Staub.
Über den Autor
- Beruf des Autors: Dichter
- Nationalität: schweizerischer
- Geboren: 24. April 1845
- Gestorben: 29. Dezember 1924
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Frühlingsgedränge
Frühlingskinder im bunten Gedränge,
Flatternde Blüthen, duftende Hauche,
Schmachtende, jubelnde Liebesgesänge
Stürzen an's Herz mir aus jedem Strauche.
Frühlingskinder mein Herz umschwärmen,
Flüstern hinein mit schmeichelnden Worten,
Rufen hinein mit trunkenem Lärmen,
Rütteln an längst verschlossenen Pforten.
Frühlingskinder, mein Herz umringend,
Was doch sucht ihr darin so dringend?
Hab' ich's verrathen euch jüngst im Traume,
Schlummernd unter dem Blüthenbaume?...
Nikolaus Lenau