Zitate
Unbegehrt
Es stand eine Rose im tief tiefen Grund
Von Liebe und Sehnsucht durchglühet,
Kam Keiner, der ihre Schönheit begehrt,
Ist einsam und traurig verblüht.
Ich weiß eine Seele, die glühte so heiß,
Die Liebe, das Glück zu umfangen,
Kam Keiner, der ihre Blüte begehrt,
Ist einsam zu Grunde gegangen.
Anna Ritter
Liebe
Leise wie ein Hauch,
Zärtlich wie ein Lied,
Furchtsam wie der Schatten,
Und so treu doch auch –
Arme kleine Liebe,
Die ich hart verstieß,
Die ich oft des Tages,
Zürnend von mir wies,
Stehst du nun zur Nacht,
Stehst vor meiner Tür,
Rufst mit süßer Stimme,
Bis ich aufgemacht?
Arme kleine Liebe,
Hast nun doch gesiegt,
Daß dir meine Seele
Still zu Füßen liegt.
Anna Ritter
Auf der Schwelle
Wie regt des Abends
verliebter Hauch
so sanft die Wellen
und Busch und Strauch,
drückt weiche Falten
in mein Gewand
und hebt mir schmeichelnd
das Gürtelband.
Ein Gruß ... ein Seufzer ...
ein heimlich Wehn –
ward nicht gesprochen,
ist nichts geschehn,
und dennoch weiß ich
zu dieser Frist,
daß meine Stunde
gekommen ist ...
Durch meine Seele ein Ahnen geht,
daß auf der Schwelle die Liebe steht.
Anna Ritter
Erinnerungsblatt
Sein Leben war ein ernst, beharrlich Wandern
Nach einem hohen Berg, darauf sie stand,
Und als er endlich sich am Ziele fand,
Da neigte sie sich lächelnd einem Andern!
Nun geht er still den langen Weg zurück.
Kein Hoffen darf die Schritte mehr beflügeln,
Und hinter ihm, auf jenen blauen Hügeln,
Verblaßt, verdämmert seiner Seele Glück.
Anna Ritter
Kämpfe
Arme Seele, die sich selbst verzehrt!
Sehnsucht, die ins Leben möchte greifen
Und dem blühenden doch angstvoll wehrt –
Arme Hand, die an dem goldnen Reifen
Heimlich dreht, weil sie das Glück begehrt,
Und doch nicht vermag, ihn abzustreifen –
Augen, die dem Lichte abgekehrt,
Ruhelos durch Nacht und Dunkel schweifen –
Jene Weisheit, die »Entsagung« lehrt,
Werdet ihr die bittre je begreifen?
Anna Ritter
Sehnsucht
Sturm, wer gab dir den Atem?
Welle, wer gab dir Flügel?
Und du Vöglein droben im schimmernden Blau,
Wer rief dich über die Hügel?
Ich weiß, ach ich weiß …
Es geht eine alte Melodie,
Die war mit der Menschheit geboren,
Jahrtausende starben, sie hat sich nie
Im Lärmen des Tages verloren:
Sehnsucht, Sehnsucht,
Treibende Macht!
Gott, der in Fesseln
Der Knechtschaft lacht,
Zagenden heimlich die Schwingen löst,
Trunk’ne hinab in den Abgrund stößt,
Sonne des Tages,
Seele der Nacht...
Anna Ritter
Die Möwe
In hoher Luft die Möwe zieht
Auf einsam stolzen Wegen,
Sie wirft mit todesmuth’ger Brust
Dem Sturme sich entgegen.
Er rüttelt sie, er zerrt an ihr
In grausam wildem Spiele –
Sie weicht ihm nicht, sie ringt sich durch,
Gradaus, gradaus zum Ziele.
O laß mich wie die Möwe sein,
Wie auch der Sturm mich quäle,
Nach hohem Ziel, durch Kampf und Not:
Gradaus, gradaus, o Seele!
Anna Ritter
Auf der alten Stadtmauer
Am alten Gemäuer das Treppchen hinan –
Nun, Märchendämmrung, nimm mich auf!
Es rauscht die Linde,
Es blinkt der Teich,
Und Abendwinde
Rühren so weich
Mich an ...
Hier hat wohl Manche
Aus Lust und Streit
Sich hergeflüchtet
Im Abendschein,
Und ihre Seele
Flog meilenweit
Ins Land hinein.
Und Sterne blühten
Am Himmel auf,
Und Träume stiegen
Vom Grund herauf,
Und Tränen sanken
Heiß auf den Stein –
O Frauensehnsucht,
Wenn schläfst du ein ...?
Anna Ritter