Wenn Leben Zitate (Seite 53)
Das ist der Bildung Fluch, darin wir leben,
Daß ihr das Beste untergeht im Vielen;
Mit jedem Elemente will sie spielen
Und wagt sich keinem voll dahinzugeben.
Kaum winkt ihr rechts ein Kranz, darnach zu streben,
So reizt ein neuer sie, nach links zu schielen;
Von Zweck zu Zweck gelockt, von Ziel zu Zielen,
Als Falter schwärmt sie, statt als Aar zu schweben.
Getaucht in alles und von nichts durchdrungen,
Preist sie sich reich, wenn folgsam jedem Stoße
Ein Maß buntscheckigen Wissens sie...
Emanuel Geibel
Gedankliches
Ich sitze hier
in den Wäldern
im Schatten des Berges
dessen Namen ich nicht kenne
der Baumstumpf unter mir
drängt mir mit seiner harten Feuchtigkeit
Gedanken des Lebens in den Kopf
wenn ich in die Ferne sehe
zu einem von Gehölz verdeckten Horizont
um seine Grenzen zu verlassen
wohin werde ich gelangen
wenn ich von einem Horizont zum nächsten schwebe
die Unbegrenztheit der Unendlichkeit verlassend
in welchen Alleen werde ich sein
die alle noch immer nicht
das Alles sind
der...
Gerald Dunkl
Die Unbesungenen
'S gibt Gräber, wo die Klage schweigt,
Und nur das Herz von innen blutet,
Kein Tropfen in die Wimpern steigt,
Und doch die Lava drinnen flutet;
'S gibt Gräber. die wie Mitternacht
An unserm Horizonte stehn,
Und alles Leben niederhalten,
Und doch, wenn Abendrot erwacht,
Mit ihren goldnen Flügeln wehn,
Wie milde Seraphimgestalten.
Zu heilig sind sie für das Lied,
Und mächt'ge Redner doch vor allen,
Sie nennen dir, was nimmer schied,
Was nie und nimmer kann zerfallen;
O, wenn...
Annette von Droste-Hülshoff
Erfüllung
Daß du auch an meinem Herzen,
Herz, nur neue Sehnsucht fühlst
und dich in vergangne Schmerzen
schmerzlicher als je verwühlst:
ist das nicht Erfüllung. Du?
Wenn die Erde schmilzt vom Eise,
daß die Luft nach Frühling schmeckt,
und in immer neuer Weise
wild ihr Grün zum Himmel reckt:
ist das nicht Erfüllung, Du?
Wenn wir dann noch Ostern feiern,
weil ein Mensch sein Leben ließ,
der den Frevlern wie Kasteiern
gleiche Seligkeit verhieß:
ist das nicht Erfüllung, Du?
Laß die tragische...
Richard Fedor Leopold Dehmel
Gebet um Liebe
O ew'ge Liebe, heil'ge mich
Mit deinen sanften Gluten,
In meine Seele senke dich,
Wenn meine Wunden bluten!
Wenn ich aus dieser wüsten Welt
Nach Licht und Rettung spähe,
Ist nichts, was meine Hoffnung hält,
Als deine sel'ge Nähe!
O halte mich in deinem Arm,
Mir graut vor dem Erkalten,
Und mach' das Herz mir hell und warm
Bis in die tiefsten Falten.
Mit deiner Glut verzehre mich,
In dir laß mich vergehen,
Ich will nicht mich, ich will nur dich,
In dir nur auferstehen!
Du wirst...
Ernst Curtius
O du, mein frühster Freund, vor allen wert,
Trost meines Herzens, dem kein Trost mehr lacht!
Wenn nun mein Tag auf ewig dich entbehrt,
So gönne mir dein Bild im Traum der Nacht!
Und wenn, zu neuem Leben dann entfacht,
Der Morgen die geheimen Tränen weckt,
Dann hält an deiner Gruft die Sehnsucht Wacht,
Bis Staub auch meinen armen Staub bedeckt
Und zum Beweinen still der Weinende sich streckt.
Lord George Gordon Noel Byron
Dilemma
Das glaube mir – so sagte er –,
Die Welt ist mir zuwider,
Und wenn die Grübelei nicht wär,
So schöß ich mich darnieder.
Was aber wird nach diesem Knall
Sich späterhin begeben?
Warum ist mir mein Todesfall
So eklig wie mein Leben?
Mir wäre doch, potzsapperlot,
Der ganze Spaß verdorben,
Wenn man am Ende gar nicht tot,
Nachdem, daß man gestorben.
Wilhelm Busch
Der Tag von gestern,
alle Tage und alle Jahre von früher
sind vorbei, begraben in der Zeit.
An ihnen kannst du nichts mehr ändern.
Hat es Scherben gegeben?
Schlepp sie nicht mit dir herum!
Denn sie verletzen dich Tag für Tag,
und zum Schluß kannst du nicht mehr leben.
Es gibt Scherben,
die wirst du los,
wenn du sie Gott in die Hände legst.
Es gibt Scherben,
die kannst du heilen,
wenn du ehrlich vergibst.
Und es gibt Scherben,
die du mit aller Liebe nicht heilen kannst.
Die mußt du liegenlassen.
Phil Bosmans
Und doch bleibe ich immer bei dir, Gott!
Du hast meine Hand ergriffen und hältst mich.
Du leitest mich, wie du es für gut hältst,
und nimmst mich am Ende ehrenvoll auf.
Wer im Himmel könnte mir helfen, wenn nicht du?
Weil ich dich habe, fehlt mir nichts auf der Erde.
Auch wenn mir Leib und Leben vergehen –
du, Gott, bist mein Halt;
du bist alles, was ich brauche.
Ich aber setze mein Vertrauen auf dich, meinen Herrn;
dir nahe zu sein, ist mein Glück.
Ich will weitersagen, was du getan hast.
Bibel
Frühlingsmorgen
Leuchtend brach der Strahl der Sonne,
Aus den weißen Nebelfluthen,
Als ich heut' am frühen Morgen
Durch die thaubenetzte Wiese
Kummervollen Herzens hinschlich;
Und die morgenfrische Erde
Streckte alle ihre Glieder,
Blätter, Blüthen, Halme, Gräser –
Alle durstend ihm entgegen.
Ach, wenn also Deiner Liebe
Seligsüßer Strahl doch endlich
Segnend auf mich niederthaute,
Jene Nebel hell durchbrechend,
Die von allen Seiten trübe
Meines Lebens Pfad umfließen –
Wenn ich endlich, gleich...
Wilhelm Arent
Zugfahrt
Manchmal ist das Leben wie eine Zugfahrt:
Du schaust aus dem Fenster,
möchtest den Duft der Wälder aufnehmen,
die Blumen pflücken, die an dir vorbei fliegen.
Doch du sitzt im Zug.
Wenn du so fühlst, solltest du
an der nächsten Haltestelle aussteigen,
auch wenn deine Fahrkarte auf ein anderes Ziel lautet.
Kristiane Allert-Wybranietz