Weise Zitate (Seite 12)
Der letzte Baum
So wie die Sonne untergeht,
Gibt's einen letzten Baum,
Der, wie in Morgenflammen, steht
Am fernsten Himmelssaum.
Es ist ein Baum und weiter nichts
Doch denkt man in der Nacht
Des letzten wunderbaren Lichts,
So wird auch sein gedacht.
Auf gleiche Weise denk ich dein,
Nun mich die Jugend läßt,
Du hältst mir ihren letzten Schein
Für alle Zeiten fest.
Christian Friedrich Hebbel
Manchmal erklingen hör' ich's leise
So wild im Sturm die Lebensreise
Hinflutet sonder Ruh' und Rast,
Manchmal erklingen hör' ich's leise:
Du hast mich nie im Ernst gehaßt.
Die Menschen nur so klug und weise,
Sie löschen gern, was heilig brennt.
Manchmal erklingen hör' ich's leise:
Wir sind von Fremden nur getrennt.
Und trägt ein Traum im Strahlengleise
Die Seele hoch, von Gram betrübt,
Manchmal erklingen hör' ich's leise:
Du hast mich dennoch still geliebt.
Julius Waldemar Grosse
So wild im Sturm die Lebensreise
Hinflutet sonder Ruh' und Rast,
Manchmal erklingen hör' ich's leise:
Du hast mich nie im Ernst gehaßt.
Die Menschen nur so klug und weise,
Sie löschen gern, was heilig brennt.
Manchmal erklingen hör' ich's leise:
Wir sind von Fremden nur getrennt.
Und trägt ein Traum im Strahlengleise
Die Seele hoch, vom Gram betrübt,
Manchmal erklingen hör' ich's leise:
Du hast mich dennoch still geliebt.
Ferdinand Groß
Von der Selbsterkenntnis
Niemand kann euch etwas eröffnen,
das nicht schon im Dämmern
eures Wissens schlummert.
Der Lehrer, der zwischen seinen Jüngern im
Schatten des Tempels umhergeht, gibt nicht von
seiner Weisheit, sondern eher von seinem
Glauben und seiner Liebe.
Wenn er wirklich weise ist, fordert er euch nicht auf,
ins Haus seiner Weisheit einzutreten, sondern
führt euch an die Schwelle eures eigenen Geistes.
Khalil Gibran
Nun säume nicht, die Gaben zu erhaschen
Des scheidenden Gepränges vor der Wende.
Die grauen Wolken sammeln sich behende.
Die Nebel können bald uns überraschen.
Ein schwaches Flöten von zerpflücktem Aste
Verkündet dir, daß letzte Güte weise
Das Land (eh es im nahem Sturm vereise)
Noch hülle mit beglänzendem Damaste.
Die Wespen mit den goldengrünen Schuppen
Sind von verschlossnen Kelchen fortgeflogen.
Wir fahren mit dem Kahn im weiten Bogen
Um bronzebraune Laubes Inselgruppen.
Stefan George
Daß oft die allerbesten Gaben
Die wenigsten Bewund'rer haben,
Und daß der größte Teil der Welt
Das Schlechte für das Gute hält;
Dies Übel sieht man alle Tage.
Jedoch, wie wehrt man dieser Pest?
Ich zweifle, daß sich diese Plage
Aus unsrer Welt verdrängen läßt.
Ein einzig Mittel ist auf Erden,
Allein es ist unendlich schwer:
Die Narren müssen weise werden;
Und seht! sie werden's nimmermehr.
Nie kennen sie den Wert der Dinge.
Ihr Auge schließt, nicht ihr Verstand:
Sie loben ewig das...
Christian Fürchtegott Gellert
Lieb' und stirb
Durch Erd' und Himmel leise
Hinflutet eine Weise
Wie sanftes Harfenwehn,
Die jedem Dinge kündet,
Wozu es ward gegründet,
Woran es soll vergehn.
Sie spricht zum Adler: Dringe
Zur Sonne, bis die Schwinge
Dir trifft ein Wetterschlag;
Spricht zu den Wolken: Regnet,
Und wenn die Flur gesegnet,
Zerrinnt am goldnen Tag.
Sie spricht zum Schwan: Durchwalle
Die Flut und dann mit Schalle
Ein selig Grab erwirb.
Sie spricht zur Feuernelke:
Im Duft glüh' auf und welke!
Zum Weibe: Lieb' und...
Emanuel Geibel
Waldandacht
Frühmorgens wenn die Hähne kräh'n,
Eh' noch der Wachtel Ruf erschallt,
Eh' wärmer all' die Lüfte weh'n,
Vom Jagdhornruf das Echo hallt,
Dann gehet leise, nach seiner Weise,
Der liebe Herrgott durch den Wald.
Die Quelle, die ihn kommen hört,
Hält ihr Gemurmel auf sogleich,
Auf daß sie nicht die Andacht stört,
So Groß und Klein im Waldbereich,
Die Bäume denken; »Nun laßt uns senken
Vor'm lieben Herrgott das Gezweig!«
Die Blümlein, wenn sie aufgewacht,
Sie ahnen auch den Herrn...
Lebrecht Dreves