Tages Zitate (Seite 13)
Morgenlied
Mit edeln Purpurröten
und hellem Amselschlag,
mit Rosen und mit Flöten
stolziert der junge Tag.
Der Wanderschritt des Lebens
ist noch ein leichter Tanz,
ich gehe wie im Reigen
mit einem frischen Kranz.
Ihr taubenetzten Kränze,
der neuen Morgenkraft,
geworfen aus den Lüften
und spielend aufgerafft -
Wohl manchen ließ ich welken
noch vor der Mittagsglut;
zerrissen hab ich manchen
aus reinem Übermut.
Mit edeln Purpurröten
und hellem Amselschlag,
mit Rosen und mit Flöten
stolziert der...
Conrad Ferdinand Meyer
Der Erntewagen
Nun des Tages Gluten starben,
Mischen alle zarten Farben
Sich am Himmel golden klar.
In die Helle seh' ich ragen
Einen hohen Erntewagen,
Den umeilt der Schnitter Schaar.
Dunkle Arbeit lichtumgeben!
Nächtige Gestalten heben,
Schichten letzte Garben leis,
Und des Abends Feierstunde
Schmückt mit heilig goldnem Grunde
Müder Arme späten Fleiß.
Conrad Ferdinand Meyer
Auf Goldgrund
Ins Museum bin zu später
Stunde heut ich noch gegangen,
Wo die Heilgen, wo die Beter
Auf den goldnen Gründen prangen.
Dann durchs Feld bin ich geschritten
Heißer Abendglut entgegen,
Sah, die heut das Korn geschnitten,
Garben auf die Wagen legen.
Um die Lasten in den Armen,
Um den Schnitter und die Garbe
Floß der Abendglut, der warmen,
Wunderbare Goldesfarbe.
Auch des Tages letzte Bürde,
Auch der Fleiß der Feierstunde
War umflammt von heilger Würde,
Stand auf...
Conrad Ferdinand Meyer
Adelaide
Einsam wandelt dein Freund im Frühlingsgarten,
Mild vom lieblichen Zauberlicht umflossen,
Das durch wankende Blüthenzweige zittert,
Adelaide!
In der spiegelnden Fluth, im Schnee der Alpen,
In des sinkenden Tages Goldgewölken,
Im Gefilde der Sterne strahlt dein Bildnis,
Adelaide!
Abendlüftchen im zarten Laube flüstern,
Silberglöckchen des Mays im Grase säuseln,
Wellen rauschen und Nachtigallen flöten:
Adelaide!
Einst, o Wunder! entblüht, auf meinem...
Friedrich von Matthisson
Was unabwendbar auch im raschen Flug der Zeiten
Das wechselnde Verhängnis jedem bringt,
Ob heit're Tage sich, ob trübe sich verbreiten,
Des Lebens Wohlfahrt steiget oder sinkt –
Ein Glaube ist's, nach dem der Weise handelt,
Und eine Hoffnung, der sein Herz sich weiht:
Vertrau' auf den, der in Gewittern wandelt
Und mild im Sonnenstrahl erfreut!
Er winkt! Sein Sturm erwacht, und seine Blitze fliegen,
Der Donner rollt, es bebt der Hochgebirge Schoß,
Die Eiche stürzt, doch die Orkane wiegen
Der...
Siegfried August Mahlmann
Ein kleines Wunder
da sitzt er nun
nur noch zwei Zähne im Mund
der Bart
hat schon drei Tage gesehen
fast 90 ist er
so alt
so jung
früher
war er wohl mal
ein gut aussehender Mann
jetzt
ist er schön
da sitzt er
lässig ins Sofa gelehnt
wendet den Blick nicht
schaut nur sie an
mit einem Lächeln
ach ich weiss nicht wie
ein Lächeln
wie man wohl nur lächeln kann
wenn man fast 90 ist
und die Frau
um die es hier geht
sitzt zwei Meter weiter
mit dem Rücken zu ihm
im Rollstuhl
sie sieht es nicht
dieses...
Anke Maggauer-Kirsche
Meiner Frau
In deinem Zimmer fand ich meine Stätte.
In deinem Zimmer weiß ich, wer ich bin.
Ich liege tagelang in deinem Bette
Und schmiege meinen Körper an dich hin.
Ich fühle Tage wechseln und Kalender
Am Laken, das uns frisch bereitet liegt.
Ich staune manchmal still am Bettgeländer,
Wie himmlisch lachend man die Zeit besiegt.
Bisweilen steigt aus fernen Straßen unten
Ein Ton zu unserm Federwolkenraum,
Den schlingen wir verschlafen in die bunten
Gobelins, gewirkt aus Küssen, Liebe, Traum.
Ernst Wilhelm Lotz
Ja, einmal nimmt der Mensch von seinen Tagen
Im voraus schon des Glückes Zinsen ein,
Und spricht: Ich will den Kranz der Freude tragen,
Mag, was darauf folgt, nur noch Asche sein.
Die vollen Becher! Laß uns alles wagen!
Ja einmal will ich auf den Mittagshöh'n
Des Lebens stehn und dann am Ende sagen:
Wie war es doch so schön!
Wie war der Traum so schön! Da wir uns liebten,
Da blühten Rosen um den Trauerzug;
Im Schaum der Tage, die sonst leer zerstiebten,
War eine Perle, reich und stolz...
Hermann Ritter von Lingg
Vorfrühling
Seelenvoll neigt dämmernd des Himmels Lichtblau
Sich zur Erdnacht nieder im Blumenkelche;
Laub an Laub, schwertauende Blätter, wie sie
Flüstern im Schlafe!
Will es Frühling werden, und kommt ihr wieder,
Ihr aus mildern Zonen gesandte Tage,
Von der holden Lerche verkündigt, kommt ihr,
Kommt ihr doch wieder?
Hermann Ritter von Lingg