Seele Zitate (Seite 26)
Wiegenlied
Wenn man ab und zu was dichtet,
glaubt man oft, man sei verpflichtet
auch ein Wiegenlied zu schreiben,
um die Vielfalt zu betreiben.
Denn es spiegeln solche Lieder
doch ein Stück der Seele wieder,
darum konnte ich's nicht lassen,
auch ein solches zu verfassen.
Fünfzehn Jahre sind vergangen,
seit ich damit angefangen,
doch das Lied, wie man's auch wendet,
ist bis heute nicht vollendet.
Kaum dass ich so nach Belieben,
ein paar Worte aufgeschrieben,
die mein Schlummerlied...
Edmund Ruhenstroth
Die Wolke
An der Birke Stamm gelehnt,
Sah ich ihn sich biegen,
Und die Wolke weißgedehnt
Über ihm sich wiegen;
Hin mit ihr zu fliegen
Hab ich mich empor gesehnt.
Lieblich steuerst du dein Boot,
Wolke, Götterbote,
Angehaucht von Morgenrot,
Und vom Abendrote;
Stände zu Gebote
Mir dein Zaubermachtgebot!
Dich verwandelnd wie ein Traum,
Füllest du die Leere
Mit Gestalt, den Himmelsraum
Bald mit Schlacht und Heere,
Bald im blauen Meere
Ragst du Fels, und stiebst du Schaum.
Was die Seele wünschen...
Friedrich Rückert
Liebesfrühling
Du meine Seele, du mein Herz,
Du meine Wonn', o du mein Schmerz,
du meine Welt, in der ich lebe,
mein Himmel du, darein ich schwebe,
o du mein Grab, in das hinab
ich ewig meinen Kummer gab!
Du bist die Ruh', du bist der Frieden,
du bist der Himmel, mir beschieden.
Daß du mich liebst, macht mich dir wert,
dein Blick hat mich vor mir verklärt,
du hebst mich liebend über mich,
mein guter Geist, mein bess'res Ich!
Friedrich Rückert
In Lüften hängt ein Lerchenton
Mein Ohr hat staunend ihn vernommen
ist's eine die noch nicht entflohn?
Ist's eine die zurückgekommen,
Gelockt von Frühling schon
Da rings die Schöpfung noch von Winter ist?
Durch meine Seele zieht ein Schwung,
denn jeder Ton hat angeschlagen.
Ist's Ahnung, ist's Erinnerung
Von künftigen, von vor'gen Tagen?
Ich fühle nur mich jung
Ob wie ich's war, ob wie ich sein werd'? Ist zu fragen.
Verklungen ist die Melodie
Verklungen von Schneewolkenherden
Und Winter ist's...
Friedrich Rückert
Brautnacht
Mit süßem Druck löst sich der Kuß zuletzt.
Wie nach dem Sturm die letzten Tropfen fallen
Vom Sims – bald dicht – bald einzeln nur verhallen –
Klopft noch im Wechselschlag ihr Herz. Und jetzt
Löst Brust sich leicht von Brust – ein Stengel trägt
Oft so zwei Blüten bräutlich nah beisammen –
Und ihre Lippen, die vom Kuß noch flammen,
Sind von der Liebe Lächeln sanft bewegt.
Noch tiefer als in Traumesflut versinken
Läßt sie der Schlaf; die Träume fliehen leise,
Dann steigen langsam wie...
Dante Gabriel Rossetti
Leeres Reden, Kommen, Gehen,
Schales Lächeln, Lachen auch,
Alles mußtest du verstehen,
Heuchelnd nach des Tages Brauch!
Unergründet muß es bleiben,
Glatt und trügrisch wie die Welt,
Wenn dein Wesen ihrem Treiben
Widerwillig ward gesellt.
Dein erst, wenn der Tag zerstoben,
Ist, was dir die Seel' umfaßt,
Dein des Glücks, der Schmerzen Toben,
Dein geliebter Sorgen Last.
Otto Roquette
Wie mit ungehemmtem Schritt
Wechseln Tag und Leben,
Nimmt der Wechsel dich auch mit,
Wandelt sich dein Streben.
Holde Züge, Melodie'n
Zaubrisch einst ergreifend,
Läßt du kühl vorüber ziehn,
Kaum die Seele streifend.
Was dein Wesen einst berückt,
Was dein Herz bereute,
Blüthen sind's, im Lenz gepflückt,
Die der Wind zerstreute.
Wenn zu lächeln dir...
Otto Roquette
Zu deinen Füßen will ich ruhn
Und dir ins Auge schaun,
Die blaue Nacht mag leise nun
Auf uns herniedertaun.
Schon tauchet aus dem stillen See
Des Mondes Bild empor,
Und kühner schweift das scheue Reh
Durch Wald und Wiesenmoor.
Mein Haupt laß ruhn auf deinem Schoß,
Da ruht es sanft und weich.
Wie ist der Himmel weit und groß,
Wie ist die Erde reich!
Der schönste Stern in blauer Nacht,
Der schönste Stern bist du,
In deines Lichtes sanfter Pracht,
O gönne mir die Ruh!
An deinem Herzen laß mich...
Otto Roquette
Die Möwe
In hoher Luft die Möwe zieht
Auf einsam stolzen Wegen,
Sie wirft mit todesmuth’ger Brust
Dem Sturme sich entgegen.
Er rüttelt sie, er zerrt an ihr
In grausam wildem Spiele –
Sie weicht ihm nicht, sie ringt sich durch,
Gradaus, gradaus zum Ziele.
O laß mich wie die Möwe sein,
Wie auch der Sturm mich quäle,
Nach hohem Ziel, durch Kampf und Not:
Gradaus, gradaus, o Seele!
Anna Ritter
Kämpfe
Arme Seele, die sich selbst verzehrt!
Sehnsucht, die ins Leben möchte greifen
Und dem blühenden doch angstvoll wehrt –
Arme Hand, die an dem goldnen Reifen
Heimlich dreht, weil sie das Glück begehrt,
Und doch nicht vermag, ihn abzustreifen –
Augen, die dem Lichte abgekehrt,
Ruhelos durch Nacht und Dunkel schweifen –
Jene Weisheit, die »Entsagung« lehrt,
Werdet ihr die bittre je begreifen?
Anna Ritter
Auf der Schwelle
Wie regt des Abends
verliebter Hauch
so sanft die Wellen
und Busch und Strauch,
drückt weiche Falten
in mein Gewand
und hebt mir schmeichelnd
das Gürtelband.
Ein Gruß ... ein Seufzer ...
ein heimlich Wehn –
ward nicht gesprochen,
ist nichts geschehn,
und dennoch weiß ich
zu dieser Frist,
daß meine Stunde
gekommen ist ...
Durch meine Seele ein Ahnen geht,
daß auf der Schwelle die Liebe steht.
Anna Ritter