Nacht Zitate (Seite 33)
Der Himmel glänzt vom reinsten Frühlingslichte,
Ihm schwillt der Hügel sehnsuchtsvoll entgegen,
Die starre Welt zerfließt in Liebessegen,
Und schmiegt sich rund zum zärtlichsten Gedichte.
Wenn ich den Blick nun zu den Bergen richte,
Die duftig meiner Liebe Tal umhegen -
O Herz, was hilft dein Wiegen und dein Wägen,
Daß all der Wonnestreit in dir sich schlichte!
Du, Liebe, hilf den süßen Zauber lösen,
Womit Natur in meinem Innern wühlet!
Und du, o Frühling, hilf die Liebe beugen!
Lisch aus,...
Eduard Mörike
Das verlassene Mägdlein
Früh, wann die Hähne krähn,
Eh' die Sternlein verschwinden,
Muß ich am Herde stehn,
Muß Feuer zünden.
Schön ist der Flamme Schein,
Es springen die Funken;
Ich schaue so drein,
In Leid versunken.
Plötzlich, da kommt es mir,
Treuloser Knabe,
Daß ich die Nacht von dir
Geträumet habe.
Träne auf Träne dann
Stürzet hernieder;
So kommt der Tag heran –
O ging' er wieder!
Eduard Mörike
Inmitten der großen Stadt
Sieh, nun ist Nacht!
Der Großstadt lautes Reich
Durchwandert ungehört
Der dunkle Fluß.
Sein stilles Antlitz
Weiß um tausend Sterne.
Und deine</em> Seele, Menschenkind? ...
Bist du nicht Spiel und Spiegel
Irrer Funken,
Die gestern wurden,
Morgen zu vergehn, –
Verlorst
In deiner kleinen Lust und Pein
Du nicht das Firmament,
Darin du wohnst, –
Hast du nicht selber dich
Vergessen,
<em>Mensch,</em>
Und weiß dein Antlitz doch
Um Ewigkeit?
Christian Morgenstern
Mitmenschen
Das sind die mitleidlosen Steine,
die Tag und Nacht dein Ich zerreiben;
willst du dein ganzer Eigner bleiben,
so flieh die liebende Gemeine.
Und bricht einmal dein volles Herz
und spricht von einer Überwindung: –
»Oh!« ruft des Nächsten kleiner Schmerz,
»bei Gott, ich kenne die Empfindung!«
Daß er so wenig weiß und kann,
das ist es, was den Edlen schmerzt,
indes der eitle Dutzendmann
zu jedem Urteil sich beherzt.
Christian Morgenstern
Wasserfall bei Nacht
Ruhe, Ruhe, tiefe Ruhe.
Lautlos schlummern Menschen, Tiere.
Nur des Gipfels Gletschertruhe
schüttet talwärts ihre
Wasser.
Geisterstille, Geisterfülle,
öffnet eure Himmelsschranke!
Bleibe schlafend, liebe Hülle,
schwebt, Empfindung und Gedanke,
aufwärts!
Aufwärts in die Geisterhallen
taste dich, mein höher Wesen!
Laß des Leibes Schleier fallen,
koste, seingenesen,
Freiheit!
Christian Morgenstern
Es pfeift der Wind. Was pfeift er wohl?
Eine tolle närrische Weise.
Er pfeift auf einem Schlüssel hohl,
bald gellend und bald leise.
Die Nacht weint ihm den Takt dazu
mit schweren Regentropfen,
die an der Fenster schwarze Ruh
am End eintönig klopfen.
Es pfeift der Wind. Es stöhnt und gellt.
Die Hunde heulen im Hofe. –
Er pfeift auf diese ganze Welt,
der große Philosophe.
Christian Morgenstern
Die Mitternachtsmaus
Wenn's mitternächtigt und nicht Mond
noch Stern das Himmelshaus bewohnt,
läuft zwölfmal durch das Himmelshaus
die Mitternachtsmaus.
Sie pfeift auf ihrem kleinen Maul, --
lm Traume brüllt der Höllengaul . . .
Doch ruhig läuft ihr Pensum aus
die Mitternachtsmaus.
Ihr Herr, der große weiße Geist,
ist nämlich solche Nacht verreist.
Wohl ihm! Es hütet ihm sein Haus
die Mitternachtsmaus.
Christian Morgenstern
Vorfrühling
Vorfrühling seufzt in weiter Nacht,
daß mir das Herze brechen will;
Die Lande ruh'n so menschenstill,
nur ich bin aufgewacht.
O horch, nun bricht des Eises Wall
auf allen Strömen, allen Seen;
Mir ist, ich müßte mit vergeh'n
und, Woge, wieder auferstehen,
zu neuem Klippenfall.
Die Lande ruh'n so menschenstill;
Nur hier und dort ist wer erwacht,
und meine Seele weint und lacht,
wie es der Tauwind will.
Christian Morgenstern
Das Wörtlein
Kürzlich kam ein Wort zu mir,
staubig wie ein Wedel,
wirr das Haar, das Auge stier,
doch von Bildung edel.
Als ich, wie es hieße, frug,
sprach es leise: »Herzlich«.
Und aus seinem Munde schlug
eine Lache Schmerzlich.
Wertlos ward ich ganz und gar,
rief's, ein Spiel der Spiele,
Modewort mit Haut und Haar,
Kaviar für zu viele.
Doch ich wusch's und bot ihm Wein,
gab ihm wieder Würde,
und belud ein Brieflein fein
mit der leichten Bürde.
Schlafend hat's die ganze Nacht
weit weg reisen...
Christian Morgenstern