Leben Leben Zitate (Seite 183)
Suleika
Nicht im Rosenschmuck der Jugend
fand ich dich und liebt ich dich,
grau schon ringelten die Locken
um der Stirne Weisheit sich,
doch in deinem Kusse lodert
ungezähmte Jugendkraft,
stimmt die Harfe meiner Seele
zur Musik der Leidenschaft. –
Deine grauen Haare bergen,
was in deiner Seele ruht,
wie die Asche des Vulkanes
Zeuge ist der innern Glut,
und aus deiner Augen Tiefen,
sprühet blitzend, göttlich rein,
ewig junges Leben kündend,
deines Geistes Feuerschein.
Clara Müller-Jahnke
Einsamkeit
Wie eine trübe Wolke durch heitre Lüfte geht,
wann in der Tanne Wipfel ein mattes Lüftchen weht:
So zieh' ich meine Straße dahin mit trägem Fuß
durch helles, frohes Leben einsam und ohne Gruß.
Ach, daß die Luft so ruhig! Ach, daß die Welt so licht!
Als noch die Stürme tobten, war ich so elend nicht.
Wilhelm Müller
Das Wasserrohr
Nachts braust ein hohles Rauschen an mein Ohr.
Schrill tönt mein Schritt, der banges Leben kündet.
Tief unterm Erdreich liegt ein Wasserrohr:
Weiß nicht, wo's herkommt, – weiß nicht, wo es mündet.
So tief wie eine Ahnung rollt der Schall,
wie bange Märchen, die wir schaudernd träumen.
Mein Fuß erschrickt – und weiß, daß überall
tief unter meinen Wegen Wasser schäumen.
Erich Mühsam
Leitsatz
Fürcht' nicht die Stunde, da du stirbst.
Die Welt, o glaub's nur, kann dich missen.
Kein Stern, um dessen Licht du wirbst,
Wird mit dir in den Tod gerissen.
Solang du lebst, wirst du gebraucht.
Soll dich das Leben nicht vergessen,
Sorg, dass die Tat nicht untertaucht,
An der du deine Kraft gemessen.
Leb, dass du stündlich sterben kannst,
In Pflicht und Freude stark und ehrlich.
Nicht dich – das Werk, das du begannst,
Mach für die Menschheit unentbehrlich!
Erich Mühsam
Bauchweh
Die Därme wälzen sich im Kampfe;
es zuckt der Leib im Magenkrampfe:
die Welt ist schlecht, – die Welt ist schlecht.
Daß die der Herr im Zorn zerstampfe!
Daß sie verpuffe und verdampfe! –
So wär' es recht! – So wär' es recht!
Angst ist das Leben und Beschwerde;
der Mensch, er sitzt am Schmerzensherde
im Weltenbauch, – im Weltenbauch.
In qualzerrissener Gebärde
krümmt sich der Bauch der Welt, der Erde, –
und meiner auch. – Und meiner auch.
Erich Mühsam
Nimm an, es gäbe einen Himmelsherrn;
so wollen wir von ihm für einst erflehn:
er lasse uns auf irgendeinem Stern
als einen Strauch voll Rosen auferstehn.
Ich will die Wurzel sein, Du sei der Strauch,
ich will die Zweige sein, Du sei das Blatt,
ich sei die Rose, Du sei ihr Arom.
So ineinander unaufhörlich satt,
so eins in jeder Faser, jedem Hauch
sei unser Leben dann ein Dankesstrom.
Christian Morgenstern
Lorus, im Verlaufe seines Strebens,
trifft den ersten Kater seines Lebens.
Dieser krümmt, traditioneller Weis'
seinen Rücken fürchterlich zum Kreis.
Lorus spricht mit unerschrockner Zarte:
"Pax vobiscum, freundlicher Gefährte!"
Welches Wort von "Lore" er gelernt
und womit er vielen Groll entfernt.
Auch der Kater, sichtbarlich betroffen,
läßt auf bessere Beziehung hoffen.
Christian Morgenstern
Und wir werden zusammen schweigen –
und ich werde mein Haupt an dich legen –
und du wirst dein Haupt auf mich neigen –
und ich werde den Nacken bewegen
und deinen Lippen entgegenstreben
und Leben
von ihnen trinken
und ihnen spenden –
und wieder zurück dann sinken
und Brust nur und Wimper noch regen –
und dann werden wir wieder zusammen schweigen –
um dann aber das Schweigen zu enden –
und aber zu enden in Schweigen –
in ewigen Wenden.
Christian Morgenstern
Wir müssen immer wieder uns begegnen
Und immer wieder durch einander leiden,
Bis eines Tages wir das alles segnen.
An diesem Tage wird das Leiden weichen,
Das Leiden wenigstens, das Blindheit zeugte,
Das uns wie blinden Wald im Sturme beugte.
Dann werden wir in neues Ziel und Leben
Wie Flüsse in ein Meer zusammenfließen,
Und kein Getrenntsein wird uns mehr verdrießen.
Dann endlich wird das »…suchet nicht das Ihre«
Wahrheit geworden sein in unsern Seelen.
Und wie an Kraft, wird's uns an Glück...
Christian Morgenstern
Non veder non sentir m'e gran ventura ...
Geschlossenen Auges laß mich gehn,
mein Schicksal,
bis der Tag vorüber,
der trüb und trüber
sich umzieht.
Nicht sehn,
nicht hören!
Wie die Maske sieht
aus leeren Löchern
und den Wogenschall
die Muschel fängt,
nur so noch laß mein Leben sein,
indes
die Seele tief in Schlummer liegen mag,
bis sie ein beßrer Tag
zu neuem Blühen
drängt.
Christian Morgenstern
Verantwortung
Du machst es dir noch leicht.
Du tust Verzicht
und gibst der Welt
dann Trauer zum Entgelt:
sie muß es büßen,
was du nicht erreicht.
Verzicht' und traure,
aber klage nicht;
dein Schmerz durchschaure
Leben und Gedicht, –
doch bau er sie nicht auf!
Das fall' dem zu,
der über...
Christian Morgenstern