Leben Ist Wie Zitate (Seite 34)
Überall ist Wunderland.
Überall ist Leben.
Bei meiner Tante im Strumpfband
Wie irgendwo daneben.
Überall ist Dunkelheit.
Kinder werden Väter.
Fünf Minuten später
Stirbt sich was für einige Zeit.
Überall ist Ewigkeit.
Wenn du einen Schneck behauchst,
Schrumpft er ins Gehäuse.
Wenn du ihn in Kognak tauchst,
Sieht er weiße Mäuse.
Joachim Ringelnatz
Nachruf
Hast Du den alten Strandkorbmann gekannt?
Er saß bei Sonne, Regen, Wind und Sand
vor seiner Strandkorbhütte ganz allein,
im Regen, Wind und goldnen Sonnenschein.
Nun ist er droben, irgendwo im Wind,
schaut auf uns nieder, wo wir Kinder sind.
Zählt seine Körbe, die im Sande stehn.
Nachts wird er selber durch die Reihen gehn.
Das Meer, die Wellen, das war sein Gesicht.
Die tiefen Furchen, wie der Welle Gischt.
O alter Strandkorbmann, nun hast du Ruh,
schaust aus der Ferne unserem...
Otto Reinhards
He Einsamkeit
He Einsamkeit, ich hasse Dich,
Du Quälgeist meines Lebens,
ich sag Dir, Du bist fürchterlich,
doch das ist wohl vergebens.
He Einsamkeit, ich hasse Dich,
wie man nur hassen kann,
Du machst mich ohne Unterlass
zu einem Hampelmann.
He Einsamkeit, ich hasse Dich,
Du gönnst mir keine Freuden,
mit Dir will ich nicht jahrelang,
mein Leben nur vergeuden.
He Einsamkeit, ich hasse Dich,
Du forderst viel zu viel,
lass mich gefälligst mal in Ruh,
spiel andernorts Dein Spiel.
He...
Horst Rehmann
Abenteuer Leben
Wo willst du mich hintreiben?
Welche Absicht hast du in mich gelegt?
Jeder neue Tag ist ein Schritt zum Sinn, zum Ziel.
Wechsel-Spiel des Lebens.
Absichtsloses Sein.
Gelebte Unsicherheit.
Nichts besteht.
Gefühle wie das Wellenspiel des Meeres.
Beständige Veränderung von Raum, Zeit und Ordnung.
Sichere Wandlung.
Vertrauensvolles Hingeben in den Rhythmus des Universums.
Irina Rauthmann
Der Kuß im Traume
Es hat ein Kuß mir Leben eingehaucht,
Gestillet meines Busens tiefstes Schmachten,
Komm, Dunkelheit! mich traulich zu umnachten,
Daß neue Wonnen meine Lippe saugt.
In Träume war solch Leben eingetaucht,
Drum leb‘ ich, ewig Träume zu betrachten,
Kann aller andern Freuden Glanz verachten,
Weil nur die Nacht so süßen Balsam haucht.
Der Tag ist karg an liebesüßen Wonnen,
Es schmerzt mich seines Lichtes eitles Prangen
Und mich verzehren seiner Sonne Gluten.
Drum birg...
Karoline von Günderode
Der Halbmond glänzet am Himmel
Der Halbmond glänzet am Himmel,
Und es ist neblicht und kalt.
Gegrüßt sei du Halber dort oben,
Wie du, bin ich Einer der halb.
Halb gut, halb übel geboren,
Und dürftig in beider Gestalt,
Mein Gutes ohne Würde,
Das Böse ohne Gewalt.
Halb schmeckt' ich die Freuden des Lebens,
Nichts ganz als meine Reu';
Die ersten Bissen genossen,
Schien Alles mir einerlei.
Halb gab ich mich hin den Musen,
Und sie erhörten mich halb;
Halb auf der Hälfte des Lebens
Entflohn sie und...
Franz Grillparzer
Wahrhaftes Leben
"Wie man nur so leben mag?
Du machst dir gar keinen guten Tag"!
Ein guter Abend kommt heran,
wenn ich den ganzen Tag getan.
Wenn man mich da und dorthin zerrt,
und wo ich nichts vermag,
bin ich von mir selbst nur abgesperrt,
da hab' ich keinen Tag.
Tut sich nun auf, was man bedarf,
und was ich wohl vermag,
da greif ich ein, es geht so scharf,
da hab' ich meinen Tag!
Ich scheine mir an keinem Ort,
auch Zeit ist keine Zeit,
ein geistreich-aufgeschloss'nes Wort
wirkt auf die...
Johann Wolfgang von Goethe
Neues Leben
Standest jüngst noch wie verdorret,
Schlanker Baum auf stiller Au!
Deine kahlen Wipfel schwankten
Trauernd in der Nebel Grau.
Und nun prangst du tausenblütig
In dem schönsten Festtagskleid!
Neues Leben kehrte wieder
Und dahin ist Winterleid.
Stillt auch meines Herzens Sehnen
Bald ein lindes Frühlingsweh'n?
Feiert auch mein Geist beseligt
Bald ein herrlich Aufersteh'n?
Johann Philipp Glöckler
Wohl manch Gebet klopft an des Himmels Pforte,
Das keinen Einlaß kann am Tor bekommen:
Weil allen Erdenwust es mitgenommen,
Um zu erscheinen vor dem höchsten Horte.
Wohl ist schon oft an einem stillen Orte
In einer Seele wie ein Blitz erglommen
Ein Lichtgedanke, heil'ger als der Frommen
Gebete und der Priester heil'ge Worte.
Das Beten ist nicht eine ird'sche Bitte,
Es holt nicht erst, es trägt in sich den Segen;
Das Beten ist nicht eine fromme Sitte:
Das Beten ist der Seele freies Regen,
Die...
Karl Ferdinand Dräxler-Manfred
Kettenlied für den Fasching
Laßt uns den Fasching loben,
Und ihn lobpreisen heut';
Wir haben viele Proben
Von seiner Freundlichkeit:
Er schloß heut' allem Leide
Hienieden unser Herz,
Und öffnet es der Freude
Allein nur und dem Schmerz.
Die Weisheit hüllt nicht immer
In Falten ihr Gesicht,
Der Freude Rosenschimmer
Entstellt ihr Antlitz nicht:
Drum trat an ihre Stelle
Heut' Scherz und froher Mut;
Denn auch die Narrenschelle
Ist oft zum Lachen gut.
Es leb' in unserm Kreise
Die Weisheit, welche...
Johann Aloys Blumauer
Geburtstagslied für eine
kranke Freundin
Wir alle freuten uns des Tag's,
Der dich zur Welt gebracht,
Und dachten an den Umstand nicht,
Der dir des Lebens süße Pflicht
So schwer und bitter macht.
Ach! Mancher, der sein Plätzchen hier
Oft mehr entehrt, als ziert,
Hat doch hienieden Luft genug,
Indeß dir jeder Athemzug
Zum lauten Seufzer wird.
Und trotz der vielen Seufzer scheint
Das Leben dir nicht hart;
Denn niemand ist, der lebensfroh,
Wie du, mit jedem Seufzer so
Ein Freudenlächeln...
Johann Aloys Blumauer
Menschenleben – ach!
Leben überhaupt – ist
Dichtung. Uns selber
unbewußt leben wir es,
Tag um Tag wie Stück
um Stück, – in seiner
unantastbaren Ganzheit
aber lebt es, dichtet es
uns. Weit, weitab von der
alten Phrase vom
›Sich-das-Leben-zum-Kunstwerk-machen‹;
wir sind nicht unser Kunstwerk.
Lou Andreas-Salomé