Lange Zitate (Seite 38)
Vorüber
"Hab vieles schon ertragen",
Stöhnt leis' ein Blümelein,
Es warfen rohe Hände
Mich oft mit Sand und Stein.
Auch haben harte Tritte
Mir schmerzhaft Weh gebracht,
Mir oft für lange Zeiten
Gehemmt die Lebenskraft.
Nur du gingst still vorüber
Gemessen deine Bahn,
Und hast mir doch von allen
Am meisten weh getan!
Johanna Ambrosius
Feldeinsamkeit
Ich ruhe still im hohen, grünen Gras
und sende lange meinen Blick nach oben,
von Grillen rings umschwirrt ohn’ Unterlaß,
von Himmelsbläue wundersam umwoben.
Und schöne, weiße Wolken ziehn dahin
durchs tiefe Blau, wie schöne stille Träume.
mir ist, als ob ich längst gestorben bin,
und ziehe selig mit durch ew’ge Räume.
Hermann Ludwig Allmers
Unbelastet und gesund kam ich zur Welt.
Ich wußte damals noch nicht,
daß dieser Zustand nicht lange hält
und schaute zu tief ins künstliche Licht,
das uns heute alle blendet.
Und damit war meine Karriere
als Mensch vorläufig beendet.
Ich hatte zu Unrecht jenen getraut,
die das künstliche Licht gebaut.
Heute suche ich echtes Licht,
das uns warm zusammenhält
und uns allen leuchtet
für eine menschliche Welt.
Gefunden hab ich's noch nicht –
doch manchmal schon gesehen.
Kristiane Allert-Wybranietz
Psychosomatisch erkrankt
oder ein eigentlich begrüßenswertes Unglück
Die alten Schienen,
die ich lange Jahre befuhr,
waren mir vertraut,
doch meine Fahrtroute nie.
Sie stand im Fahrplan meiner Erzieher.
Trotzdem wagte ich mich nicht
von diesen wohlbekannten Schienen,
bis ich entgleiste.
Jetzt lege ich meine eigenen Schwellen und Schienen -
mühsam, von Station zu Station.
Kristiane Allert-Wybranietz
Schatzsucher auf Lebenszeit
Einmal möchte ich verweilen können:
Keinen Wunsch mehr,
nicht mehr suchen,
nicht mehr das Gefühl,
noch etwas finden zu müssen.
Vieles habe ich gefunden,
aber nie sind meine
Schatzkammern so gefüllt,
daß ich sie abschließen
und fortfliegen kann.
Dabei habe ich
den Flug ins Wunschlose
schon so lange gebucht.
Doch meine Schätze
zerrinnen mir zwischen den Fingern.
Und ich muß weitersuchen,
denn der Versuch,
Vorratskammern mit guten Gefühlen
anzulegen,
ist auch...
Kristiane Allert-Wybranietz
Die Grille und die Ameise
Die Grille, die den Sommer lang
zirpt’ und sang,
litt, da nun der Winter droht’,
harte Zeit und bittre Not:
Nicht das kleinste Würmchen nur,
und von Fliegen keine Spur!
Und vor Hunger weinend leise,
schlich sie zur Nachbarin Ameise,
fleht' sie an, in ihrer Not
ihr zu leihn ein Stückchen Brot,
bis der Sommer wiederkehre.
"Hör",sprach sie, "auf Grillenehre,
vor der Ernte noch bezahl'
Zins ich dir und Kapital."
Die Ameise, die, wie manche lieben
Leute, das Verleihen...
Aesop
Später Baum
Andre glänzten früh in ihrer Blüte,
andre reiften ihre Frucht schon lang,
nur ich einer, säfteschwerer, mühte
mich umsonst und sorgte mich schon bang.
Da, im späten Herbsten, sonnte Regen
süß durch mich hindurch, den ich erfleht,
und nun hebe ich dem Licht entgegen
Frucht um Frucht als goldnes Dankgebet.
Jede Not des Wartens, Hoffens, Leidens
scheint mit im erlangten Ziele hold –
alles war Gesetz des Fruchtbereitens
und: ich selber hab es so gewollt.
Hans Christoph Ade
Der Mensch ist ein Schatten, der bald vergeht.
Der Mensch ist ein Rauch, der nicht lange währt,
er ist ein Feuer, das sich bald verzehrt.
Der Mensch ist ein Wasser, das bald abrinnt,
er ist eine Kerze, die bald abnimmt.
Der Mensch ist ein Glas, das bald zerbricht,
er ist ein Traum, er zeiget sich nicht.
Der Mensch ist ein Wachs, das bald erweicht,
er ist eine Rose, die bald verbleicht.
Der Mensch ist ein Fleisch, das bald stinkt;
er ist ein Schiffchen, das bald sinkt.
Abraham a Santa Clara