Lange Zitate (Seite 19)
Resurrectio
Flut, die in Nebeln steigt.
Flut, die versinkt.
O Glück: das große Wasser,
das mein Leben überschwemmte, sinkt, ertrinkt.
Schon wollen Hügel vor. Schon bricht gesänftigt
aus geklärten Strudeln Fels und Land.
Bald wehen Birkenwimpel
über windgesträhltem Strand.
O langes Dunkel.
Stumme Fahrten zwischen Wolke, Nacht und Meer.
Nun wird die Erde neu.
Nun gibt der Himmel aller Formen zarten Umriß her.
Herzlicht von Sonne,
das sich noch auf gelben Wellen bäumt –
Bald kommt die Stunde,
wo...
Ernst Maria Richard Stadler
Was die Erde hat, kann nicht bestehen,
ihre Gabe heißt Vergänglichkeit,
aufwärts zu dem Himmel mußt du sehen,
suchst du ew'ge Schön- und Herrlichkeit.
Laß zum Himmel dich die Erde weisen,
suche deine Heimat nicht auf ihr,
du mußt weiter, immer weiter reisen,
deines Bleibens ist nicht lange hier.
Karl Johann Philipp Spitta
O glaub' es nicht, daß schlecht die Welt
Und bös die Menschen allesamt!
O glaub' es nicht, so lang dein Herz
Nicht selber sich und dich verdammt!
O glaub' es nicht – und wer es sagt,
Frag' ihn, ob er denn selber gut;
Sei du's! Die Welt ist nie zu schlecht
Dem wahren Sinn und echten Blut.
Peter Sirius
Wird's drüben nach dem Leben,
Ein Wiedersehen geben? –
Wer hat wohl beim Hinübergeh'n
Der Freunde schon genug geseh'n?
Wie mancher möchte noch was sagen,
Und muß es mit hinüber tragen;
Nur Ahnung tönet ihm dabei,
Daß dort ein Wiedersehen sei.
Wird's drüben nach dem Leben,
Ein Wiedersehen geben? –
Wie lang ein Herz auch fühlen mag,
Gefühl hat keinen Sterbetag.
Das Herz, bei seinem letzten Pochen
Hegt vieles noch, unausgesprochen,
Und dieser innern Sprache Wort
Bürgt für ein Wiederfühlen dort.
Johann Gabriel Seidl
Meine Puppe kriegst du nicht!
Nein, du kleiner Bösewicht,
meine Puppe kriegst du nicht!
Noch ist's gar nicht lange her;
denkst du denn, ich weiß nicht mehr,
wie's der andern ist ergangen,
was du mit ihr angefangen?
Erst die Nase abgemacht,
dann das Köpfchen ihr zerkracht,
dann den ganzen Leib zerrüttet
und die Kleie ausgeschüttet,
daß die Beine und der Bauch
hingen wie ein leerer Schlauch,
dann die Arme ausgerissen
und sie auf den Müll geschmissen!
Nein, du kleiner Bösewicht,
meine Puppe...
Heinrich Seidel
Freund
egal wohin du gehst
nimm ein Lächeln
von mir mit
es möge dich begleiten
über jede schmale Brücke
jede tiefe Klamm –
dein Schutzengel sein
Freund
egal wie lange du bleibst
wenn wir
uns wiedersehn
werden wir uns erkennen
lachend um den Hals fallen
als wären unsere Seelen
keinen Tag gealtert
Freund
und wenn es nicht mehr reicht
die Zeit zu kurz ist
werden wir
zu anderer Zeit
an anderem Ort
einander gegenüberstehen
du wirst mir
mein Lächeln zurückgeben
und sagen:
ich habe gut drauf...
Ute Maria Seemann
Ich hab mein Leben lang drauf gewartet,
du warst alles was ich wollte,
ich sah dich an und mein Herz obsiegte.
Die Zeit mit dir war wie im Traum
und sollte nie vergehen.
Doch Träume sind und bleiben nur Träume,
das erkannte ich, als du aus meinem Leben
wieder verschwandest.
Verdammte Liebe. Ich geb's auf!
Jeremy Seaver
Ich sah Dir nach in Deinen blauen Himmel,
Im blauen Himmel dort verschwand Dein Flug.
Ich blieb allein zurück in dem Gewimmel,
Zum Troste mir Dein Wort, zum Trost Dein Buch. –
Da such' ich mir die Öde zu beleben
Durch Deiner Worte geisterfüllten Klang:
Sie sind mir alle fremd, die mich umgeben,
Die Welt ist öde und das Leben lang.
Arthur Schopenhauer
Januar-Welt
Lange Nächte beginnen am Nachmittag.
Wenn bleiche Sonne Farben schluckt.
Schwarze Äste Knochen gleich
zum wintergrauen Himmel zeigen.
Wenn unter Sträuchern,
hinter Mülltonnen
schmutzige Schneehaufen
liegen.
Wenn Rasenflecken
unberührte Schneeflächen
durchbohren.
Wenn brauner Schneematsch
Fontänen gleich zur Seite spritzt.
Schmatzend Schritte dämpft.
Bis die Nacht ihr schwarzes Tuch
über die trüb-kleine Januar-Welt legt,
sie dunkel-weit und sterne-hoch gaukelt.
Martina Schneider
Wechsel der Dynastie in der Philosophenschule
Erst stand im höchsten Rang das Ich,
Litt Du und Er kaum neben sich,
Und jedes Nicht-Ich schien ihm nichtig,
Das Ich macht' alle Dinge richtig.
So schlug es manchen Purzelbaum
Im metaphysisch leeren Raum.
Nachdem es lang von sich gesprochen,
Ward ihm zuletzt der Hals gebrochen.
Der unbarmherzige Begriff
Erdroßelt' es mit hartem Griff.
Der lehrt: was wirklich, was vernünftig;
Das macht ihn bei Philistern zünftig. –
Wer sagt uns, welcher neue...
August Wilhelm von Schlegel