Immer Zitate (Seite 100)
Wintersonne
Noch ist der Morgen
mehr Gefangener der Nacht
als Bote des nahenden Tages.
Schweigen umhüllt die Landschaft
tief und ruhig im Grau.
Um die träumenden Bäume und ihr Gezweige,
die letzten Trotzschatten der Nacht -
ein seidener Schleier aus Lila…
Da erhebt die Sonne,
selbstverzaubert flimmerndes Orange,
Anfangs noch blutleer im Meer der Nebel,
sucht sie dennoch am Himmel
ihre Macht über den Tag -
und wärmt sich langsam
an den Bäumen empor.
Aus dem Reif der...
Elmar Kupke
Der Egoist
Der Unmensch denkt zuerst an sich,
Und wenn er damit fertig ist,
Dann kommt der Mensch in seinen Blick.
Der Mensch jedoch will seinesgleichen
Gedanklich ganz und erst erreichen,
Was letztlich auch den Unmensch trifft.
So ist der Mensch als gutes Wesen
Dem Unmensch immer überlegen –
Moralisch und charakterlich.
Das Fazit der Erkenntnis ist,
Man traue stets dem Unmensch nicht;
Denn nur der Mensch ist Mensch an sich.
Wolfgang (WoKo) Kownatka
Gastgeschenk
Ein Mensch der eingeladen wird,
Bedankt sich artig bei dem Wirt,
Der ihn zu Gast gebeten hat.
Der Mensch fühlt wohl sich in dem Haus
Und denkt sich deshalb etwas aus,
Was er dem Gästegeber reicht.
Es ist nicht viel, soll’s auch nicht sein,
Denn Gast zu sein, ist immer fein,
Und deshalb klein auch das Geschenk.
Der Mensch jedoch bringt es von Herzen,
Es sind zwei kleine, hübsche Kerzen,
Die Licht und Wärme bringen sollen.
Das Licht steht für die Lebenskraft,
Die wünscht der Mensch...
Wolfgang (WoKo) Kownatka
Zu Tod möcht ich mich lieben
Liebster Freund, und kann's denn sein,
Wächst noch immer diese Liebe
Längst war ihr das Herz zu klein
Quillt noch stets von neuem Triebe!
Tag für Tag und Nacht für Nacht,
Füllt sich's fort aus ew'gen Quellen
Und das Herze weint und lacht,
Kann sich gar nicht mehr verstellen.
Süße Krankheit, himmlisch Leid
Und so mag's die Welt denn wissen
Der mich liebt, ist ach, so weit
Und das Herz ist mir zerrissen!
Aber dann im Traum der Nacht,
O wie sind wir da...
Christian Reinhold Köstlin
Im Finstern geh ich suchen,
mein Kind, wo steckst Du wohl?
Ach, sie versteckt sich immer,
daß ich verschmachten soll!
Im Finstern geh ich suchen,
mein Kind, wo steckst du wohl?
Ich, der den Ort nicht finde,
ich irr' im Kreis umher!
Wer um dich stirbt,
der hat keine Ruh!
Kindchen, erbarm dich
und komm herzu!
August Kopisch
Der stille Garten
Wie gefangen liegt die Sonne
Hier in meinem kleinen Garten,
Wo zu immer neuer Wonne
Tausend Wunder auf mich warten.
Fühle von der Welt da draußen
Nichts mehr hinter seiner Türe,
Lass die Stürme all' verbrausen;
Keiner, der ans Herz mir rühre.
Nur den Mond noch und die Sterne
Laß ich in den Garten sehen,
Und so darf ich in die Ferne
Lauter goldne Wege gehen.
Karl Ernst Knodt
An den Flieder
Flieder, blütenfroher Flieder,
schlägst du bald die Augen auf,
deine leuchtenden blauen Augen?
Sehnsucht nach dir durchblüht das land,
Veilchen sind fort. Noch reden nicht Rosen.
Aber die leisen Glöckchen des Maien
läuten. Sie lockten dich immer herbei.
Heiß brennt die Sonne,
heißer die heimliche Sehnsucht nach dir.
Flieder, blühst du,
stillt sich die Sehnsucht, –
lösest ganz leise die Flügel der Seele,
lähmst durch ein wonnig-weiches Ermüden
die vor Erwartung erregten...
Karl Ernst Knodt
Es singt
Die Nachtigall
(Als solche)
Auch für Gauner
Und für Strolche,
Singt für Stricher
Oder Streicher,
Fragt nicht
"Armer oder Reicher",
Sondern singt
Die Partitur
Immer paritätisch nur
Und die singt
Für schräge Kläger
Ebenso
Wie Mitgiftjäger,
Abmahngeier,
Würdenträger,
Schriftsatzschinder,
Hurensöhne,
Halsabschneider
Und für Rechtsanwälte:
Leider.
Klaus Klages
Handlanger
Die Reize der Frauen sind immer die gleichen
bei Großen und Kleinen, Armen und Reichen,
bei Dünnen und Dicken,
bei Derben und Schicken,
bei Schwarzen und Weißen,
egal, wie sie heißen,
die Reize der Frauen sind unwiderstehlich
und machen die Männer fröhlich und seelich!
Die Attraktionen der Frauen sind uns bekannt.
Was also reizt uns, genaugenommen?
Das Reizende selbst in die Hand zu bekommen!
Klaus Klages
Menschenskinder
Dort, wo »In-Sein« immer »out« ist,
wo das Leben nicht so laut ist,
wo sie Trennendes zerreißen
und auf Börsenkurse scheißen,
wo sie nicht auf Sieger setzen
und die Herzen nicht vernetzen,
dort, wo keinerlei Bilanzen
mit den Männern Tango tanzen,
da, wo Titel aller Längen
am Garderobenhaken hängen,
dort ist alles, was sie kennen,
menschenwürdig noch zu nennen.
Klaus Klages
Zwiegespräch
"Du gabst mir immer wieder
Dein Herz und deine Lieder,
Ich nahm sie sorglos hin.
Nun muß ich dich betrüben:
Ich darf dich nicht mehr lieben,
Weil ich nicht dein mehr bin."
"Und liebst du einen andern,
Will ich ins Weite wandern,
Mir wird so enge hier.
Wie schmerzlich blüht der Flieder!
Mein Herz und meine Lieder,
Ich lasse sie bei dir."
Klabund