Gut Zitate (Seite 40)
Nie bist du ohne Nebendir
Eine Wiese singt.
Dein Ohr klingt.
Eine Telefonstange rauscht.
Ob du im Bettchen liegst
Oder über Frankfurt fliegst,
Du bist überall gesehn und belauscht.
Gonokokken kieken.
Kleine Morcheln horcheln.
Poren sind nur Ohren.
Alle Bläschen blicken.
Was du verschweigst,
Was du andern nicht zeigst,
Was dein Mund spricht
Und deine Hand tut,
Es kommt alles ans Licht.
Sei ohnedies gut.
Joachim Ringelnatz
Aus
Nun geh ich stumm an dem vorbei,
Wo wir einst glücklich waren,
Und träume vor mich hin: es sei
Alles wie vor zwei Jahren.
Und du bist schön, und du bist gut,
Und hast so hohe Beine.
Mir wird so loreley zumut,
Und ich bin doch nicht Heine.
Ich klappe meine Träume zu
Und suche mir eine Freude.
Auf daß ich nicht so falsch wie du
Mein Stückchen Herz vergeude.
Joachim Ringelnatz
Die Brüder
Der Weekend traf den Weekbeginn:
»Guten Morgen!«
»Guten Abend!«
Sie mochten sich anfangs nicht leiden,
Und immer hatte von beiden
Der eine ein unrasiertes Kinn.
Trotz dieser trennenden Kleinigkeit
Lernten sie doch dann sich leiden
Und gingen klug und bescheiden
Abwechselnd durch die Zeit.
Und gaben einander Kraft und Mut
Und schließlich waren die beiden
Nicht mehr zu unterscheiden.
Und so ist das gut.
Joachim Ringelnatz
Abschiedsworte an Pellka
Jetzt schlägt deine schlimmste Stunde,
Du Ungleichrunde,
Du Ausgekochte, du Zeitgeschälte,
Du Vielgequälte,
Du Gipfel meines Entzückens.
Jetzt kommt der Moment des Zerdrückens
Mit der Gabel! – Sei stark!
Ich will auch Butter und Salz und Quark
Oder Kümmel, auch Leberwurst in dich stampfen.
Mußt nicht so ängstlich dampfen.
Ich möchte dich doch noch einmal erfreu'n.
Soll ich Schnittlauch über dich streun?
Oder ist dir nach Hering zumut?
Du bist so ein...
Joachim Ringelnatz
Abendgebet einer erkälteten Negerin
Ich suche Sternengefunkel.
Sonne brennt mich dunkel.
Sonne droht mit Stich.
Warum brennt die Sonne im Zorn?
Warum brennt sie gerade mich?
Warum nicht Korn?
Ich folge weißen Mannes Spur.
Der Mann war weiß und roch so gut.
Mir ist in meiner Muschelschnur
so negligé zu Mut.
Kam in mein Wigwam
weit übers Meer,
Seit er zurückschwamm,
das Wigwam
blieb leer.
Joachim Ringelnatz
Silvester
Daß bald das neue Jahr beginnt,
Spür ich nicht im Geringsten.
Ich merke nur: Die Zeit verrinnt
Genau so wie zu Pfingsten,
Genau wie jährlich tausendmal.
Doch Volk will Griff und Daten.
Ich höre Rührung, Suff, Skandal,
Ich speise Hasenbraten.
Mit Cumberland, und vis-à-vis
Sitzt von den Krankenschwestern
Die sinnlichste. Ich kenne sie
Gut, wenn auch erst seit gestern.
Champagner drängt, lügt und spricht wahr.
Prosit, barmherzige Schwester!
Auf! In mein Bett! Und Prost Neujahr!
Rasch!...
Joachim Ringelnatz
Ich habe dich so lieb
Ich habe dich so lieb!
Ich würde dir ohne Bedenken
Eine Kachel aus meinem Ofen
schenken.
Ich habe dir nichts getan.
Nun ist mir traurig zumut.
An den Hängen der Eisenbahn
Leuchtet der Ginster so gut.
Vorbei - verjährt -
Doch nimmer vergessen.
Ich reise.
Alles, was lange währt,
Ist leise.
Die Zeit entstellt
Alle Lebewesen.
Ein Hund bellt.
Er kann nicht lesen.
Er kann nicht schreiben.
Wir können nicht bleiben.
Ich lache.
Die Löcher sind die Hauptsache
An einem Sieb.
Ich...
Joachim Ringelnatz
Aufgebung
Ich lasse das Schicksal los.
Es wiegt tausend Milliarden Pfund;
Die zwinge ich doch nicht, ich armer Hund.
Wies rutscht, wies fällt,
Wies trifft - so warte ich hier. -
Wer weiß denn vorher, wie ein zerknittertes Zeitungspapier
Weggeworfen im Wind sich verhält?
Wenn ich noch dem oder jener (zum Beispiel dir)
Eine Freude bereite,
Was will es dann heißen: "Er starb im Dreck"? -
Ich werfe das Schicksal nicht weg.
Es prellt mich beiseite.
Ich poche darauf: Ich war manchmal gut.
Weil ich...
Joachim Ringelnatz
Das Lied der Bildsäule
Wer ist es, wer mich so liebt, daß er
sein liebes Leben verstößt?
Wenn einer für mich ertrinkt im Meer,
so bin ich vom Steine zur Wiederkehr
ins Leben, ins Leben erlöst.
Ich sehne mich so nach dem rauschenden Blut;
der Stein ist so still.
Ich träume vom Leben: das Leben ist gut.
Hat keiner den Mut,
durch den ich erwachen will?
Und werd ich einmal im Leben sein,
das mir alles Goldenste giebt, –
so werd ich allein
weinen, weinen nach meinem Stein.
Was hilft mir mein Blut,...
Rainer Maria Rilke
Die Nacht holt heimlich durch des Vorhangs Falten
Aus deinem Haar vergeßnen Sonnenschein.
Schau, ich will nichts, als deine Hände halten
und still und gut und voller Frieden sein.
Da wächst die Seele mir, bis sie in Scherben
den Alltag sprengt; sie wird so wunderweit:
An ihren morgenroten Molen sterben
die ersten Wellen der Unendlichkeit.
Rainer Maria Rilke
Geduld
Und ich möchte dich
so gut ich kann bitten,
Geduld zu haben gegen alles Ungelöste
in deinem Herzen,
und zu verstehen.
Die Fragen selbst lieb zu haben
wie verschlossene Stuben.
Und wie Bücher, die in einer fremden Sprache
geschrieben sind.
Forsche jetzt nicht nach Antworten,
die dir nicht gegeben werden können,
weil du sie nicht leben könntest.
Und es handelt sich darum
alles zu leben.
Vielleicht lebst du dann
allmählich – ohne es zu merken –
in deine Antworten hinein.
Rainer Maria Rilke
Die Irren
Und sie schweigen, weil die Scheidewände
weggenommen sind aus ihrem Sinn,
und die Stunden, da man sie verstände,
heben an und gehen hin.
Nächtens oft, wenn sie ans Fenster treten:
plötzlich ist alles gut.
Ihre Hände liegen im Konkreten,
und das Herz ist hoch und könnte beten,
und die Augen schauen ausgeruht
auf den unverhofften, oftenstellten
Garten im beruhigten Geviert,
der im Widerschein der fremden Welten
weiterwächst und niemals sich verliert.
Rainer Maria Rilke
Ich fürchte mich so vor der
Menschen Wort.
Sie sprechen alles so deutlich
aus:
Und dieses heißt Hund und
jenes heißt Haus,
und hier ist Beginn und das
Ende ist dort.
Mich bangt auch ihr Sinn,
ihr Spiel mit dem Spott,
sie wissen alles, was wird und
war;
kein Berg ist ihnen mehr
wunderbar;
ihr Garten und Gut grenzt grade
an Gott.
Ich will immer warnen und
wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör ich so
gern.
Ihr rührt sie an: sie sind starr
und stumm.
Ihr bringt mir alle...
Rainer Maria Rilke
Ich finde dich in allen diesen Dingen,
denen ich gut und wie ein Bruder bin;
als Samen sonnst du dich in dem Geringen
und in dem Großen gibst du groß dich hin...
Das ist das wundersame Spiel der Kräfte,
daß sie so dienend durch die Dinge gehn:
in Wurzeln wachsend, schwindend in die Schäfte
und in den Wipfeln wie ein Auferstehn.
Rainer Maria Rilke