Gedichte Zitate (Seite 3)
Einer Unbekannten
In diesem großen Traurigsein,
das Leben heißt,
kann einer fremden Lampe Schein
oft wie ein stilles Grüßen sein
von Geist zu Geist.
Und eines Menschen Angesicht,
das kaum man kennt,
kann rührend sein wie ein Gedicht
und tröstend wie ein leises Licht,
das tief im Dämmer brennt.
Anton Wildgans
Der Gefangene
Oftmals habe ich nachts im Bette
Schon gegrübelt hin und her,
Was es denn geschadet hätte,
Wenn mein Ich ein andrer wär.
Höhnisch raunten meine Zweifel
Mir die tolle Antwort zu:
Nichts geschadet, dummer Teufel,
Denn der andre wärest du!
Hilflos wälzt ich mich im Bette
Und entrang mir dies Gedicht,
Rasselnd mit der Sklavenkette,
Die kein Denker je zerbricht.
Frank Wedekind
Der Rosenzweig
Von Kurt dem Träumer
Von einem blühenden Rosenstrauch
Brach heut' ich ein Zweiglein mir.
Das trug eine volle Ros' und auch
Dazu der Knospen vier.
Und als ich der Liebsten den Zweig gereicht,
Da fiel mir folgendes ein:
O diese Rose, wie sehr sie gleicht
Einer Sau mit vier Ferkelein.
Das sagt' ich der Liebsten, sie nahm es schief,
Warf mir den Zweig ins Gesicht,
Ich aber schimpfend von dannen lief
Und machte dieses Gedicht.
Johannes Trojan
Die ganze Gelehrtengeschichte zeigt,
Daß einer des andern Schultern besteigt,
Denn das ist's, was eben dem Wissen frommt,
Daß immer ein Folgender weiter kommt.
Was aber ein Kunstwerk heißt, ein Gedicht,
Das überlebt sich auf Erden nicht,
Denn regt's auch vielleicht zu noch Größerem an,
So ist es damit nicht abgetan;
Und lauft ihr die ganze Welt herum,
Es ist und es bleibt ein Unikum.
Otto Sutermeister
Zufriedenheit
Mein Herz, gib dich zufrieden!
Und fiel dein Los auch schlicht,
Dir war doch Sonne beschieden
Und Tausenden schien sie nicht!
Dir blühn gesunde Sinne,
Du schaffst in goldnem Licht;
Du wurdest Treue inne,
Und Tausenden wurden's nicht!
Und was du ja mußt klagen,
Wird selber zum Gedicht;
Du kannst deine Schmerzen sagen,
Und Tausende können's nicht.
Karl Stieler
Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?
Holdseliger und milder noch bist du:
Durch Maienknöspchen rauhe Winde streichen,
Des Sommers Frist geht raschem Ende zu.
Oft glüht des Himmels Auge gar zu heiß,
Oft zeigt sein goldner Glanz des Dunkels Spur,
Das Schöne weicht oft aus der Schönheit Gleis
Durch Zufall oder Wandel der Natur.
Doch nimmer schwindet deines Sommers Pracht,
Und was du Holdes hast, wird ewig weilen;
Du wirst nicht wandeln in des Todes Nacht,
Wenn du verewigt bist in ewgen...
William Shakespeare
Liebe Frau
Sie sagen,
meine Texte wären
nicht schlecht
etwas unreif noch …
Es käme nur einmal Gott vor
und kaum Sterben und Tod.
Es sei halt alles noch etwas seicht
und man würde halt merken,
daß ich in meinem jungen Leben
noch nichts erlebt hätte!
Na danke!
Mir reichts!
Liebe Frau,
lassen Sie mich ihre Gedichte lesen,
die da handeln von fallendem Herbstlaub
und sterbenden Astern.
Nicht schlecht!
werde ich sagen …
aber man merkt das Alter.
Das Leben ist halt schon
eine ganze Weile her.
Ute Maria Seemann
Stille Gedichte
Es gibt eine Art von stillen Gedichten,
Die nichts erfinden und nichts berichten,
Die wie mit schlanken, blassen, weichen
Fingern über die Stirn dir streichen,
Die wie ein Hauch mit zagem Wehn
Träumend öffnen der Seele Türen
Und schwebend durch deine Seele gehn,
Worte hauchend im Verwehn,
Die dich jählings zu Tränen rühren.
Hugo Salus
Die Jungfrau Lore Ley
Die Jungfrau Ley macht' einst Furore,
sie war recht hübsch und sie hieß Lore
und saß schon jahrelang allein
auf einem Stein, hoch über'm Rhein.
Sie winkte allen Fahrensleuten,
die sich natürlich drüber freuten,
sie kämmte sich, das war so Brauch
und sang dazu, das Schiff sank auch.
So brachte sie durch Händewinken
schon manchmal manches Schiff zum Sinken,
das tauchte dann auch im Verlauf
der ganzen Zeit nie wieder auf.
Und die Moral von dem Gedicht:
Wenn jemand winkt,...
Edmund Ruhenstroth
Phantasie, das ungeheure Riesenweib,
Saß zu Berg,
Hatte stehen neben sich zum Zeitvertreib
Witz, den Zwerg.
Der Verstand
Seitwärts stand,
Ein proportionierter Mann,
Sah das tolle Spiel mit an.
Phantasie mit Donnersturm thut auf den Mund,
Witz verstummt;
Schweigt die Riesin, thut sogleich der Zwerg sich kund,
Pfeift und summt.
Der Verstand
Hält nicht Stand,
Geht und spricht: das mag ich nicht,
Denn das sieht aus wie ein Gedicht.
Friedrich Rückert