Zitate
Der Stieglitz
Die Sonne blitzt, ein Distelfeld
belebt die stille Mittagswelt;
im starrgezackten Blättermeer
glühn purpurlockig kreuz und quer
die Blütenköpfe.
Und durch den eisengrauen Busch,
ein bunter Vogel, hupp, hupp, husch,
hüpft durch das wilde Staudenheer,
als ob es ohne Stacheln wär:
ein junger Stieglitz.
Wie wirr, wie wunderlich geschweift!
Ein leichtes Lüftchen kommt und greift
von Blütenspeer zu Blütenspeer
und wirft die Schatten hin und her;
weg ist der...
Richard Fedor Leopold Dehmel
Lobgesang
Wie das Meer
ist die Liebe –
unaufhörlich,
unergründlich,
unermeßlich:
Woge um Woge
drängend getrieben,
Woge um Woge
wühlend verschlungen,
sturm-und-wettergeworfen nun,
sonnelachend nun,
bebend nun dem Mond
die rastlos wechselnde Fläche, –
doch in der Tiefe
leisten Fluten ewiger Ruhe,
unerschüttert,
undurchdringlich dem suchenden Blick,
matt verdämmernd in nächtiges Dunkel, –
und in der Weite
sanftes Wallen ewiger Ruhe,
unbewegt,
unerfaßlich dem suchenden Blick,
still verschwimmend...
Richard Fedor Leopold Dehmel
Klarer Tag
Der Himmel leuchtet aus dem Meer;
ich geh und leuchte still wie er.
Und viele Menschen gehn wie ich,
sie leuchten alle still für sich.
Zuweilen scheint nur Licht zu gehn
und durch die Stille hinzuwehn.
Ein Lüftchen haucht den Strand entlang:
o wundervoller Müßiggang.
Richard Fedor Leopold Dehmel
Das große Karussell
Im Himmel ist ein Karussell,
Das dreht sich Tag und Nacht.
Es dreht sich wie im Traum so schnell,
Wir sehn es nicht, es ist zu hell
Aus lauter Licht gemacht;
Still, mein Wildfang, gib acht!
Gib acht, es dreht die Sterne, du,
Im ganzen Himmelsraum.
Es dreht die Sterne ohne Ruh
Und macht Musik, Musik dazu,
So fein, wir hören's kaum;
Wir hören's nur im Traum.
Im Traum, da hören wir's von fern,
Von fern im Himmel hell.
Drum träumt mein Wildfang gar so gern,
Wir drehn uns mit...
Richard Fedor Leopold Dehmel
Entweihung
Wag' es selber kaum verstohlen
deinen Namen mir zu stammeln;
ist mir immer doch, als müßt' ich
still mich erst zur Andacht sammeln.
Und ich muß es schweigend leiden,
darf nicht heil'gen Zorns entbrennen
wenn die Andern ohne Scheu mir
diese keuschen Laute nennen, –
mit denselben Lippen nennen,
die des Neides Siegel tragen,
die mit Kuß und Lächeln feilschen,
die zur Lüge Weisheit sagen!
Fort! Ich will aufs Pferd mich werfen,
in die freie Flur es lenken,
will zu meiner Mutter...
Richard Fedor Leopold Dehmel
Die stille Stadt
Liegt eine Stadt im Tale,
ein blasser Tag vergeht;
es wird nicht lange dauern mehr,
bis weder Mond noch Sterne,
nur Nacht am Himmel steht.
Von allen Bergen drücken
Nebel auf die Stadt;
es dringt kein Dach, nicht Hof noch Haus,
kein Laut aus ihrem Rauch heraus,
kaum Türme noch und Brücken.
Doch als den Wandrer graute,
da ging ein Lichtlein an im Grund,
und durch den Rauch und Nebel
begann ein leiser Lobgesang
aus Kindermund.
Richard Fedor Leopold Dehmel
Aus banger Brust
Die Rosen leuchten immer noch,
die dunklen Blätter zittern sacht,
ich bin im Grase aufgewacht,
o kämst du doch,
es ist so tiefe Mitternacht.
Den Mond verdeckt das Gartenthor,
sein Licht fließt über in den See,
die Weiden stehn so still empor,
mein Nacken wühlt im feuchten Klee,
so liebt' ich dich noch nie zuvor!
So hab' ich es noch nie gewußt,
so oft ich deinen Hals umschloß
und blind dein Innerstes genoß,
warum du so aus banger Brust
aufstöhntest, wenn ich überfloß.
O jetzt,...
Richard Fedor Leopold Dehmel
Blick ins Licht
Still von Baum zu Bäumen schaukeln
Meinen Kahn die Uferwellen;
Märchenblütenblau umgaukeln
Meine Fahrt die Schilflibellen,
Schatten küssen den Boden der Flut.
Durch die dunkle Wölbung der Erlen
- welch ein funkelndes Verschwenden -
Streut die Sonne mit goldenen Händen
Silberne Perlen
In die smaragdenen Wirbel der Flut.
Durch die Flucht der Strahlen schweben
Bang nach oben meine Träume,
Wo die Bäume
Ihre krausen Häupter heben
In des Himmels ruhige Flut.
Und in leichtem,...
Richard Fedor Leopold Dehmel
Meeraugen
Was will in deinen Augen doch
dies trauervolle dunkle Weh,
so tief und sehr?
so still und schwer
wie die Stürme, die schlafen gingen
im Schooß der grauen See.
Versinken will, versinken stumm
in dieser Augen müden Schooß
mein Herz – und will
wie Du so still
und schwer in Dein Herz tauchen
und reißen die Stürme los!
Und will sich wiegen so mit dir
in rasender lachender Seligkeit
auf freiem Meer, –
bis tief und sehr
die Wogen wieder ruhen,
verstürmt dein dunkles Leid.
Richard Fedor Leopold Dehmel
Still, es ist ein Tag verflossen.
Deine Augen sind geschlossen.
Deine Hände schwer wie Blei,
liegen dir so drückend ferne.
Um dein Bette schweben Sterne
dicht an dir vorbei.
Still, sie weiten dir die Wände.
Gib uns her die schweren Hände,
sieh, der dunkle Himmel weicht –
deine Augen sind geschlossen.
Still, du hat den Tag genossen,
dir wird leicht.
Richard Fedor Leopold Dehmel