Zitate
Lästerzungen, selbst die frommen,
Stimmen rührend überein,
Wie du herrlich dich benommen,
Alle Schuld trifft mich allein.
Eins nur wird dich still verklagen,
Wenn ans Fenster pocht der Wind,
Niemand wird dann zu dir sagen:
Traute Seele, liebes Kind!
Niemand wird mehr mit dir weinen,
Und wenn erst die Lerche singt,
Sag mir, wer dir dann die kleinen,
Dir die frühen...
Hermann Ritter von Lingg
Gedenke, daß du Schuldner bist
Der Armen, die nichts haben,
Und deren Recht gleich deinem ist
An allen Erdengaben.
Wenn jemals noch zu dir des Lebens
Gesegnet goldne Ströme gehn,
Laß nicht auf deinen Tisch vergebens
Den Hungrigen durch's Fenster sehn;
Verscheuche nicht die wilde Taube,
Laß hinter dir noch Ähren stehn,
Und nimm dem Weinstock nicht die letzte Traube.
Hermann Ritter von Lingg
Passionsblume
Ueber der Menschheit Stirne gesenkt
Wölkt sich ein Schatten der tieffsten Trauer,
Wenn der vergangenen Zeit sie gedenkt,
Und der begangenen Frevel mit Schauer.
Wie viel schuldlos Ermordete stehn
Wie viel gekreuzigte Zeugen der Wahrheit
Unten in Nacht, und wir, wir gehn
Oben im Licht und in freudiger Klarheit!
Bis von einem Unrecht nur
Nur ein wenig sich ausgeglichen,
Sind im Gange der Weltenuhr
Oft Jahrhunderte schon verstrichen!
Hermann Ritter von Lingg
Einsamkeit
Wie lang schon trat niemand mehr ein
In dieses stille Zimmer?
Nur hier das bißchen Sonnenschein
Glänzt heute noch wie immer.
Und alles ringsum aufgeräumt
Und wie ich's sonst gefunden:
Die Wanduhr nur steht still und träumt
Von längst vergangnen Stunden.
Wie still es ist! nur dann und wann
Der Sommerfliege Summen.
Hier saß ich oft allein und sann
In innerem Verstummen.
Entmutigt sein, wenn alles hofft,
Wenn alles lebt, gebunden;
Ich kenne sie, ich hab' sie oft
Gefühlt, die bittern...
Hermann Ritter von Lingg
Verloren
Je dunkler, je schattiger ein Baum,
Um so lieber singt ein Vogel darauf,
Je schwermütiger, je düst'rer ein Traum,
Um so lieber wacht man auf.
Je härter, um so edler der Stein,
Je müder, je mehr gebrochen
Ein edles Herz von Pein,
Um so tiefer und stiller sein Pochen.
Wem ein großes Leid geschehen,
Der wird ewig elend sein.
Blumen kann man wieder säen,
Herzen, die uns recht verstehen
Wenn uns die verloren gehen –
Den Verlust bringt nichts mehr ein.
Hermann Ritter von Lingg
Immer leiser wird mein Schlummer,
Nur wie Schleier liegt mein Kummer
Zitternd über mir.
Oft im Traume hör ich dich
Rufen drauß vor meiner Tür,
Niemand wacht und öffnet dir,
Ich erwach und weine bitterlich.
Ja, ich werde sterben müssen,
Eine Andre wirst du küssen,
Wenn ich bleich und kalt.
Eh die Maienlüfte wehn,
Eh die Drossel singt im Wald:
Willst du mich noch einmal sehn,
Komm, o komme bald!
Hermann Ritter von Lingg