Zitate
Ja, einmal nimmt der Mensch von seinen Tagen
Im voraus schon des Glückes Zinsen ein,
Und spricht: Ich will den Kranz der Freude tragen,
Mag, was darauf folgt, nur noch Asche sein.
Die vollen Becher! Laß uns alles wagen!
Ja einmal will ich auf den Mittagshöh'n
Des Lebens stehn und dann am Ende sagen:
Wie war es doch so schön!
Wie war der Traum so schön! Da wir uns liebten,
Da blühten Rosen um den Trauerzug;
Im Schaum der Tage, die sonst leer zerstiebten,
War eine Perle, reich und stolz...
Hermann Ritter von Lingg
Hochsommer
O Frühling, holder fahrender Schüler,
Wo zogst du hin? Die Linden blühn,
Die Nächte werden stiller, schwüler,
Und dichter schwillt das dunkle Grün.
Doch ach! die schönen Stunden fehlen,
Wo jedes Leben überquoll,
Wo trunken alle Schöpfungsseelen
Ins Blaue schwärmten wollustvoll.
Nicht singt mehr, wie am Maienfeste,
Die Nachtigall, die Rosenbraut;
Sie fliegt zum tiefverborgnen Neste
Mit mütterlich besorgtem Laut.
Der goldne längste Tag ist nieder,
Der Himmel voll Gewitter...
Hermann Ritter von Lingg
Gedenke, daß du Schuldner bist
Der Armen, die nichts haben,
Und deren Recht gleich deinem ist
An allen Erdengaben.
Wenn jemals noch zu dir des Lebens
Gesegnet goldne Ströme gehn,
Laß nicht auf deinen Tisch vergebens
Den Hungrigen durch's Fenster sehn;
Verscheuche nicht die wilde Taube,
Laß hinter dir noch Ähren stehn,
Und nimm dem Weinstock nicht die letzte Traube.
Hermann Ritter von Lingg