Zitate
Kein Ende
O sprich, warum denn soll ich leben,
Was soll der Finger, der mir droht?
Nichts ist mein Denken, Wollen, Streben,
Und was ich bin, ist eitel Tod.
Die Wonne beut mir ihre Schalen
Und keine Freude spürt mein Herz;
Ich lieg' in tausend heißen Qualen
Und fleh' um einen Tropfen Schmerz.
Ein neues Schwert ist jede Stunde,
Das mich im tiefsten Busen trifft,
Es wird an dem verfluchten Munde
Der Liebe Becher selbst zu Gift.
Nichts ruhet aus. In tollem Schwanken
Wahnsinnig dreht die Welt...
Friedrich Theodor von Vischer
Gefangen
Als einst in jenes Laubdachs Dunkelhelle
Voll Inbrunst meine Arme dich umschlangen,
Als Haupt an Haupt und Wang' an Wange drangen,
Du schlankes Reh, schwarzäugige Gazelle,
Da traf ein Mücklein auf die holde Stelle,
Und zwischen unsern angeschmiegten Wangen
Hat es in irrem Taumel sich gefangen,
Es surrt und zappelt, will entfliehen schnelle.
Nicht wahr, du Schelm, das hat dir nicht geträumet,
Es warte dein so wunderlich Verhängniß?
So bleibe nur und werde nicht so bange!
Ein...
Friedrich Theodor von Vischer
Dank für Rat
»Den Kuß und dann die Kralle,
So sind sie alle.
Die Kralle, dann den Kuß,
Macht ihnen nicht Verdruß.« –
»Nimm's nicht so schwer! Laß ruhn!
Sie wissen nicht, was sie tun.
Oder geh fort! Geh, wandere!
's gibt andere,
Nicht alle sind Katzen
Und kratzen,
Bist eben zu lang geblieben;
Man muß mit gepacktem Koffer lieben.
Was ist der Koffer? Es ist dein Geist,
Der dich immer gefaßt sein heißt.
In die Liebe zumeist darf nur sich wagen,
Wer auch enden kann und entsagen.« –
»Dank für den...
Friedrich Theodor von Vischer
Immerzu
Gestern, ah! das war ein Schweben,
Als zum Tanz die Hand sie gab!
Über Stock und Steine streben
Muß ich heut am Wanderstab.
Gestern glänzten weiße Brüste,
Die ein tiefes Athmen hob,
Heute starren in der Wüste
Felsenblöcke rauh und grob.
Gestern noch mit heißen Küssen
Deckte mich ihr weicher Mund,
Heut von scharfer Dorne Rissen
Trag' ich Hand und Wange wund.
Gestern löste mir die Glieder
Süßer Liebe Feuertrank,
Heute lieg' ich frierend nieder
Auf des Erdgrunds harte Bank.
Auf!...
Friedrich Theodor von Vischer
Lerne hoffen, ohne zu hoffen!
Leider ein allzu schweres Stück;
Wer's könnte, der hätte das Ziel getroffen:
Glücklich zu sein auch ohne Glück.
Dennoch ist's wahr und guter Rat,
Wird er auch niemals ganz zur Tat.
Leben ist Schuld,
Da will's Geduld;
Im Genuß entsagen,
Leidend nicht klagen,
Verzichtend wagen,
Dem Schein nicht trauen,
Doch freudig schauen,
Schaffen und bauen!
Versuch es, und kann es nicht ganz gelingen:
Soviel du vermagst, es doch zu zwingen,
Soviel ragst du aus Zeit und...
Friedrich Theodor von Vischer
Vom Tode
In der Jugend heiterem Morgenrot
Denkt kein Mensch an Alter und Tod,
Und dies mit allem Grund und Fug;
Denn an den Tod soll man nicht denken.
Im Alter kostet es Müh' genug,
Die Gedanken von ihm abzulenken.
Memento Mori: hohler Popanz!
Motto für den Totentanz!
Taugt nichts für Junge und nichts für Greise;
Memento vivere sagt der Weise:
Fülle dein Leben tüchtig aus –
Mit dem</em> Rat hält man richtig Haus.
Friedrich Theodor von Vischer
Tand
O, es ist nichts. Dieß Alles ist ja Tand!
Was hält noch den an holder Täuschung Band,
Der weiß, daß Nichts ist, und nach Art der Narren
In seiner Seele schuldigem Erblinden
Hinlief zu euch, zu suchen und zu scharren,
Ob nicht ein Etwas da noch sei zu finden!
Doch einmal, ja! zum ächten Edelstein
Drang da der Bergmann glücklich grabend ein,
Zum Diamant der Einfalt und der Treue.
Das war ein Etwas, war das Salz der Erden! –
Was blieb ihm, als das Thränensalz der Reue?
Treulos an solchem...
Friedrich Theodor von Vischer
Breite und Tiefe
Sag', alter Narr, was rennst du wieder
So kreuz und quer, bergauf und nieder?
Was suchst du denn? Laß sein, laß sein!
Die Weite bringt es dir nicht ein,
Im Breiten wirst du's nicht erringen!
Da mußt du in die Tiefe dringen.
Der Weg ist kurz, die Arbeit schlicht:
Fünf Schuh tief, weiter braucht es nicht.
Friedrich Theodor von Vischer
Der Schlaf
Man hat schon oft gesagt,
Du seiest des Todes Bild,
O Knabe, still und mild,
Süßer Schlaf!
Ich aber versteh' es:
Weil die wilden Gedanken,
Die umgetriebenen, todeskranken,
Nicht mehr sind.
Morden kann ich sie nicht,
Aber sie nicken und schlummern ein
In deinem Dämmerschein
Ganz sachte.
Bringst du denn nicht auch bald,
Wenn ich ruf' und stehe zu dir,
Deinen bleichen Bruder mir
An der Hand?
Bringst du ihn immer nicht?
Er hat, was das Herz vermißt,
Hat, was das Beste ist,
Kein...
Friedrich Theodor von Vischer
Vereinbar
"Man muß nicht müssen", sagt ein deutscher Dichter,
Ein andrer, und der größte unter allen:
"Der Mensch ist nicht geboren, frei zu sein."
Hat einer unrecht und der andre recht?
Und wer von beiden, dieses oder jenes?
O schwierig! Aber halt, da fällt mir ein:
Am Ende haben recht und unrecht beide.
Der Mensch ist frei, doch er bedarf ein Muß.
Nun gut, so schaffe selbst dir einen Zwang,
Ein Muß der Pflicht: dann dienst du, aber frei.
Friedrich Theodor von Vischer
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