Zitate
Kein Ende
O sprich, warum denn soll ich leben,
Was soll der Finger, der mir droht?
Nichts ist mein Denken, Wollen, Streben,
Und was ich bin, ist eitel Tod.
Die Wonne beut mir ihre Schalen
Und keine Freude spürt mein Herz;
Ich lieg' in tausend heißen Qualen
Und fleh' um einen Tropfen Schmerz.
Ein neues Schwert ist jede Stunde,
Das mich im tiefsten Busen trifft,
Es wird an dem verfluchten Munde
Der Liebe Becher selbst zu Gift.
Nichts ruhet aus. In tollem Schwanken
Wahnsinnig dreht die Welt...
Friedrich Theodor von Vischer
Lerne hoffen, ohne zu hoffen!
Leider ein allzu schweres Stück;
Wer's könnte, der hätte das Ziel getroffen:
Glücklich zu sein auch ohne Glück.
Dennoch ist's wahr und guter Rat,
Wird er auch niemals ganz zur Tat.
Leben ist Schuld,
Da will's Geduld;
Im Genuß entsagen,
Leidend nicht klagen,
Verzichtend wagen,
Dem Schein nicht trauen,
Doch freudig schauen,
Schaffen und bauen!
Versuch es, und kann es nicht ganz gelingen:
Soviel du vermagst, es doch zu zwingen,
Soviel ragst du aus Zeit und...
Friedrich Theodor von Vischer
Vom Tode
In der Jugend heiterem Morgenrot
Denkt kein Mensch an Alter und Tod,
Und dies mit allem Grund und Fug;
Denn an den Tod soll man nicht denken.
Im Alter kostet es Müh' genug,
Die Gedanken von ihm abzulenken.
Memento Mori: hohler Popanz!
Motto für den Totentanz!
Taugt nichts für Junge und nichts für Greise;
Memento vivere sagt der Weise:
Fülle dein Leben tüchtig aus –
Mit dem</em> Rat hält man richtig Haus.
Friedrich Theodor von Vischer
Du möchtest der Zeit nach immer leben, mein lieber Piepmeyer? Aber wenn du auf immer neuen Planeten ewig ein neues Zeitleben lebst, so kommt es in jedem derselben immer nur darauf an, ob du vermagst, ins Zeitlose emporzusteigen. Von der endlosen Zeit, mein Lieber, hast du gar nichts.
Friedrich Theodor von Vischer
Das Leben ist eine Fußreise mit einem Dorn oder Nagel im Stiefel. Felsen, Berge, Schluchten, Flüsse, Löcher, Sonnenglut, Frost, Unwetter, Räuber, Feinde, Wunden, damit müssen wir kämpfen, das will bestanden sein, dazu haben wir die Willenskraft. Aber der Nagel im Stiefel: das ist die Zugabe, kommt außerdem und überdies dazu, und für den Nagel bleibt dem Manne, der mit den großen Übeln redlich ringt, keine Geduld übrig.
Friedrich Theodor von Vischer
Weichheit ist gut an ihrem Ort,
Aber sie ist kein Losungswort.
Kein Schild, keine Klinge und kein Griff,
Kein Panzer, kein Steuer für dein Schiff.
Du ruderst mit ihr vergebens.
Kraft ist die Parole des Lebens!
Kraft im Zuge des Strebens,
Kraft im Wagen,
Kraft im Schlagen,
Kraft im Behagen,
Kraft im Entsagen,
Kraft bei des Bruders Not und Leid
Im stillen Werk der Menschlichkeit.
Friedrich Theodor von Vischer
Scheinleben
Und seit des Nichts unsäglicher Gedanke,
Ein wilder Blitz, mir in die Seele schlug,
Ist Schein geworden all mein Thun und Wesen,
Ist all mein Leben eitel Lug und Trug.
Am Richtplatz sah man: wenn das Haupt gefallen,
Auffährt der Rumpf und bebt zwei Schritte fort,
Das Auge zuckt und will die Welt noch sehen,
Die Lippen stammeln noch ein leises Wort.
Friedrich Theodor von Vischer
Wer aber lebt, muß es klar sich sagen:
Durch dies Leben sich durchzuschlagen,
Das will ein Stück Rohheit.
Wohl dir, wenn du das hast erfahren
Und kannst dir dennoch retten und wahren
Der Seele Hoheit.
In Seelen, die das Leben aushalten
Und Mitleid üben und menschlich walten,
Mit vereinten Waffen
Wirken und schaffen
Trotz Hohn und Spott,
Das ist Gott.
Friedrich Theodor von Vischer