Zitate
Das einzig Wahre.
Echt ist nur des Himmels Blau,
Denn der Wechsel, streng und rauh
Nimmt des Blütenstraußes Pracht,
Grün, das hell vom Baume lacht.
Sommers Feuerglut verfliegt
Und der flinke
Bach versiegt.
Auf den Wechsel, klein und groß
Schaut der Himmel, wandellos.
Menschentreu ist Morgenduft,
Den entführt die weichste Luft,
Und die Lieb' ist über Nacht
Oft als Haß wohl aufgewacht.
Heut gehst du als Bruder mit,
Morgen dich der Hochmut tritt;
Und es beut der Lebensbaum
Statt...
Eugenie Marlitt
Klage.
Und sollte nicht das Herz erbeben,
Gebeugt vom Schicksal, rauh und erzen,
Wird ihm ein jeder Schritt durch's Leben
Zum blutigen Markstein neuer Schmerzen?
Wenn Menschen seine Welt zerstören,
Durch Hohn sein innerst Selbst vernichten?
Sollt es sich zürnend nicht empören,
Bleibt ihm Enttäuschung und Verzichten?
Sein Schrei nach Frieden ist vergebens,
Getränkt mit Wermut ward sein Fühlen...
Du gold'ner Quell des ew'gen Lebens,
Vermagst du einst, dies wegzuspülen?
Eugenie Marlitt
Ein losgerissener Baum.
Weithin vom rasenden Sturm getragen
Aus trautem Waldgeheg
Liegt er verscheidend am Weg.
Durch den Wipfel, der einst so kühn
Gen Himmel getragen sein Grün,
Rauschen jetzt einsam Todesklagen.
Schmerzlich zucken die Blätter, durchzittert
Vom leisen Windeshauch,
Aus niedrem Strauch
Kriecht der Wurm
Preisend den Sturm,
Der dies stolze Leben zersplittert.
Wenn dein Mut von den Stürmen und Wettern
Des Schicksals besiegt
...
Eugenie Marlitt
Die Träume
Wenn uns der Schlaf berührt die Augenlider,
Dann eilt mit seinen Wundern allsogleich
Der Träume wild-phantastisch Nebelreich
Zur dämmernden Gedankenwelt hernieder.
Da sprossen auf des Mohnes bunte Blüten,
Aus jedem Kelche steigt ein wirrer Traum,
Der hüllet sich in leichten Wolkenschaum
Und senkt sich auf das Aug' der Schlummermüden.
Erinn'rung leitet stets der Träume Reigen,
Er zeigt uns längstverscholl'nes Glück und Leid,
Wie nach der Sage alter, grauer Zeit...
Eugenie Marlitt
Die Natur
Natur ist unergründlich tief im Walten,
Erhaben über Erdenmacht und Zeit
Ist ewig groß in wechselnden Gestalten
Und unbeschreiblich schön im Frühlingskleid.
Ein Saitenspiel ist ihr geheimes Weben,
Gebreitet über Gottes weites All,
Denn wenn die Frühlingslüfte drüber beben,
Entströmt ein wundersamer Jubelschall.
Eugenie Marlitt
Mahnung.
O trauert um edle Menschen nicht,
Wenn früh ihr Flug sich zum Jenseits gewendet!
Ein mächtiger Wille, ein göttlich Gericht
Sie haben den Engel des Todes gesendet.
Der Hülle Vernichtung erst führet zum Licht
Mit ihrem Zerfall ist die Prüfung geendet
So wie ja der Meister die Form auch zerbricht
Wenn er seine herrliche Schöpfung vollendet.
Eugenie Marlitt
Eigenes Denken wird uns stets auf den unerschütterlich festen Satz der Moral zurückführen, daß wir zunächst unsere ganzen Kräfte dem Boden zuwenden sollen, auf den uns die Vorsehung gestellt hat. – Und wenn du dereinst hundert aus dem Heidentum gerettete Kinderseelen dem Ewigen aufzählen kannst, sie werden dich nicht um ein Jota gegen der Vorwurf rechtfertigen, daß du dein eigenes darüber hast zu Grunde gehen lassen.
Eugenie Marlitt
Wird die Bibel nicht der lebendige Quell des Trostes und Segens für alle Zeiten bleiben, wenn ihr auch hie und da menschliche Irrtümer ankleben? …
Wer auch nur ein einziges Mal im Kummer nach ihr gegriffen hat, der weiß, daß sie ewig ist. Die also um des angefochtenen Buchstaben um sie zittern, die kennen ihren Geist nicht.
Eugenie Marlitt
Drachenhort
Es reift am Lebensbaum in immer neuer
Und wechselnder Gestalt wohl manche Frucht,
Doch drunter wacht ein mächtig Ungeheuer,
Das lauert tückisch, ob der Mensch versucht
Nach jenem Schatz die kühne Hand zu heben!
Es lächelt hämisch, wenn er kämpft und ringt...
O laß die Frucht! Du wirst sie nie erstreben,
Weil stets das Ungeheuer sie verschlingt.
Die gold'nen Früchte nennt man: Lebensglück,
Das Ungeheuer aber Mißgeschick!
Eugenie Marlitt
Wie wenig vermögen wir selbst die Vorgänge in unserem Seelenleben zu begreifen – und fassen sie verkehrt und ungeschickt auf, wie es einem fremden, unparteiischen Blicke gar nicht einmal möglich sein würde, und erst wenn hereinbrechende Katastrophen vorüber sind, erkennen wir, daß wir ihr Eintreten vorher gefühlt und gewußt haben.
Eugenie Marlitt