Zitate
Geh vorüber!
Das Sonnenlicht kommt durch's Fenster geflogen,
Küßt mich und lacht:
»Guten Morgen!«
»Ach, liebes Licht,
Rufe doch nicht,
Siehe, die Sorgen
Schlafen ja noch!
Willst du sie wecken,
Daß sie mich schrecken?
Spät erst hat sie die gütige Nacht
Singend und schmeichelnd zur Ruhe gebracht.
Da hab ich geschlafen und träumte so schön:
Von lachenden Kindern, von Sonne und Veilchen ...
Willst du nicht noch ein zögerndes Weilchen
An meiner Kammer vorübergehn?«
Anna Ritter
Wehe Liebe
Du sagst, ich sei jung –
Das nimmt mir die Ruh,
Du sagst, ich sei schön –
Ich weine dazu!
Was soll mir die Jugend,
Ich bin ja allein,
Was taugt mir die Schönheit -
Sie ist ja nicht dein!
Ich habe dich lieb –
Du fühlst nicht, wie sehr,
Ich trage ein Leid –
Du weißt nicht, wie schwer !
Ich hatte ein Hoffen,
Das ist nun todt…
Ach, Gott,
Erbarm' dich meiner Noth!
Anna Ritter
Auf der Schwelle
Wie regt des Abends
verliebter Hauch
so sanft die Wellen
und Busch und Strauch,
drückt weiche Falten
in mein Gewand
und hebt mir schmeichelnd
das Gürtelband.
Ein Gruß ... ein Seufzer ...
ein heimlich Wehn –
ward nicht gesprochen,
ist nichts geschehn,
und dennoch weiß ich
zu dieser Frist,
daß meine Stunde
gekommen ist ...
Durch meine Seele ein Ahnen geht,
daß auf der Schwelle die Liebe steht.
Anna Ritter
Unglücksrabe
So oft ich der alten Nachbarin
In ihrem Shawltuch begegnet bin,
Wenn die Sonne grade recht hell gestrahlt,
Als bekäm sie's heute extra bezahlt –
Dann zeigte die alte Nachbarin
Mit der welken Hand nach dem Himmel hin
Und kniff den Mund so besonders ein,
Als biß sie in etwas Saures hinein,
Und meinte: "Wenn's nur so bleibt!"
So ist's mir im Leben mit Vielen ergangen,
Die wußten mit Freude nichts anzufangen
Und riefen in jeden Sonnenschein
Ihr krächzendes "Wenn's nur so bleibt"...
Anna Ritter
Aufschrei
Blühend sein und doch nicht leben sollen,
Mit der Sehnsucht noch, der heißen, tollen,
Vor der fest verschlossnen Türe stehn –
Durstig sein, und doch nicht trinken, trinken,
Wenn die goldnen Freudenbecher winken,
Jeder Wonne scheu vorübergehn –
Lechzen, ach, nach seligem Genießen,
Und die trunknen Augen doch zu schließen,
Weil des Schicksals harter Spruch es will –
Darben, darben, wenn sich Andre küssen,
Elend sein, und dennoch lachen müssen,
Immer lachen ….
Still, mein Herz, o still!
Anna Ritter
Einsamer Abend
Im Nachtwind blähn sich leise die Gardinen,
Ein Falter wagt den Todesflug ins Licht
Und büßt den Fürwitz. Mit gelassnen Mienen
Schau ich ihm zu – es ist der Erste nicht,
Den dumpfe Sehnsucht in die Gluth getragen,
Und der im Sturz den kecken Nacken bricht!
Vom Rathhausthurm hör' ich die Uhren schlagen.
Die Töne dringen wuchtig zu mir her,
Als wollte jeder einzelne mir sagen:
"Thu deine Pflicht – du hast nichts Andres mehr.
Ich neige meine Stirn der harten Kunde...
Anna Ritter
Schlafe, ach schlafe
Und dürft' ich dich wecken zum Sonnenlicht
Aus Schatten des Todes, ich thät es nicht,
Ich sänke nieder an deinem Grab
Und leise raunt ich ein Lied hinab:
Schlafe, ach schlafe!
O laß in dein traumtiefes Kämmerlein
Kein Fünkchen des schimmernden Licht's hinein,
Denn was die Sonne dir auch verspricht,
So hell, so strahlend – sie hält es nicht.
Schlafe, ach, schlafe.
Anna Ritter
Und damals tat's nicht halb so weh.
Was gingst du nicht in jener Nacht,
Da ich dir trotzig sagte; "Geh!"
Auch heute gilt dasselbe Wort
Und damals tat's nicht halb so weh.
Ach, damals wagt' ich noch den Kampf,
Da war ich mutig, jung und stark,
Doch wenn du heute von mir gehst,
Dann trifft der Streich mich bis ins Mark.
Anna Ritter